So gut wie alle mystischen Traditionen kennen die Praxis des Retreats, des Rückzugs in die Stille. Suhrawardi empfiehlt in seinem Hauptwerk 'Hikmat al-Ishraq': „Lass ihn (den Adepten, Anm.) vierzig Tage meditieren.“ Auch Jesus zog sich vierzig Tage und Nächte in die Wüste zurück.
Das sind knapp sechs Wochen - eine lange Zeit. Die Sufi-Lehrerin Saki Lee beschreibt in den Sufi-News Nr. 2/09 (zu finden auf der Website des norwegischen Inayatiordens unter dem Stichwort SufiNews from Europe), wie es ihr bei einem solchen vierzigtägigen Retreat ergangen ist.
Doch die üblichen Retreats sind kürzer. Gruppenretreats dauern oft nur zwei Tage bis maximal eine Woche. Bei Einzelretreats empfiehlt es sich, mit drei bis fünf Tagen zu beginnen und sich dann langsam zu steigern.
Anspruchsvoll, aber heilsam
So ein Sufi-Retreat ist mehr als nur einfach Entspannung und Rückzug in die Stille. Wer sich darauf einlässt, begibt sich in einen inneren Prozess. Im Retreat gelingt es uns, zu unserem eigentlichen Wesen vorzudringen und daraus neue Kraft zu schöpfen. Doch Bewusstseinserweiterung, also Licht, bedeutet immer auch Konfrontation mit dem eigenen Schatten. Das, was wir im Alltag oft unterdrücken oder wegschieben, drängt im Retreat an die Oberfläche, will ge- und erlöst werden.
Aber gerade deshalb können Retreats zutiefst heilsam sein, denn die Konfrontation mit unserem Schatten führt zu einer Freilegung unserer inneren Ressourcen. Und sie erlaubt uns eine neue, weitere und offenere Sicht auf unser Leben.
Sicheres Gefäß
Der virtuelle Raum, in dem das Retreat stattfindet, ist wie ein Gefäß, das der Retreatguide in seinem Bewusstsein hält. Der Guide wacht auch darüber, dass sich der Transformationsprozess gut entwickeln kann. Das Erstaunliche dabei ist: Diesen Prozessen scheint eine ganz bestimmte Struktur zugrunde zu liegen (siehe Retreat & Alchemie). Eine Struktur, die letztlich nicht auf das Retreat beschränkt ist, sondern allen menschlichen Transformationsprozessen zugrunde liegt. Hier, in der 'Retorte', laufen sie nur etwas intensiver und konzentrierter ab.
Wichtig ist, dass die Vertrauensbasis zwischen Retreatant und Retreatguide stimmt. Die beiden meditieren in der Regel einmal pro Tag miteinander. Bei dieser Gelegenheit erhält der Retreatant seine Übungen für den Tag (Konzentrations-, Atem-, Licht- und Meditationsübungen). Für den Rest des Tages ist der Retreatant sich selbst überlassen. Bei der Verpflegung empfiehlt sich leichte Kost in mäßigen Mengen. Fasten ist nicht notwendig.