Begegnungen

Auch heuer war ich wieder im hohen Norden Norwegens unterwegs – zunächst auf Nordkinn, dann in Porsanger, wo ich von Sneford hinüber zum Nordkapweg wanderte. Und schließlich zum Ausklang auf der Halbinsel Bringnes. Wie immer versuchte ich dabei das Naturerlebnis mit der Erkundung historischer Stätten zu verbinden, wobei im Sommer 2025 vor allem samische Kultstätten im Vordergrund standen: die Steinkreise in der Svensvika auf Nordkinn, der Noaidestein von Snefjord in Porsanger sowie die Steinkreise und der Čháppesbákti Opferstein auf Bringnes, ebenfalls Porsanger. Warum ich diesem Text dennoch den Titel "Begegnungen" gegeben habe, liegt daran, dass ich heuer deutlich mehr Menschen als sonst auf meinen Wanderungen traf. Herzliche Menschen, aufmerksame und hilfsbereite Menschen, interessante Menschen. Und last not least ist schließlich alles eine Begegnung – mit Wind und Wetter, Pflanzen und Tieren, Steinen, den Relikten alter Kulturen ...

 

 

Donnerstag, 3. Juli 2025

Diesmal war der Urlaubsbeginn etwas anstrengend. Zunächst blieb mein Fluggepäck in Amsterdam hängen. Dann wurde mein letzter Teilflug von Tromsø nach Mehamn wegen Nebels um einen ganzen Tag verschoben. Und jetzt, wo ich endlich in Mehamn bin, habe ich Schwierigkeiten, hier im Dorf eine Gaskartusche für meinen Campingkocher aufzutreiben – in der Tankstelle gibt es keine, auch nicht im Baumarkt... Schließlich werde ich dann doch noch in einem Geschäft namens Metek fündig.

Anschließend besuche ich noch Yulia in ihrem Laden. Yulia ist Ukrainerin, betreut das "Blue House" in Mehamn, in dem ich gewöhnlich hier wohne. Daneben arbeitet sie als Springerin im örtlichen Supermarkt. Und nun versucht sie sich ein drittes Standbein mit Nähen aufzubauen. Denn sie ist eine professionelle und vor allem leidenschaftliche Schneiderin. Der Shop "Arctic People", den Yulia mit zwei Freund:innen betreibt, bietet handgenähte Qualitätsware, Hoodies, Stirnbänder, Mützen etc. mit aufgestickten Motiven, und neuerdings auch T-Shirts.

Es tut gut, mit ihr bei einem Kaffee zu plaudern. Sie erzählt, dass dies wohl die letzte Saison ist, in der sie das "Blue House" betreut. Dann hofft sie auf eigenen Beinen stehen zu können mit dem Shop.

 

Yulia an ihrer Nähmaschine

 

Gegen 11:00 gehe ich dann los. Das Wetter ist herrlich. Bei der Wasserleitung, die vom Middagsvannet (nw. vann oder vatn = See) herunter ins Dorf führt, sehe ich einige Baumaschinen, sowohl oben beim See als auch auf dem Weg dorthin. Drei Männer stehen vor einem großen, ausgehobenen Loch und beratschlagen. Ich frage, ob sie hier ein Loch durch den Berg bohren wollen für die Leitung. Tatsächlich! Das erspart ihnen künftig wohl einiges an Umwegen für die Wasserleitung.

Vom Middagsvannet marschiere ich weiter in Richtung Hysvannet, wo ich schon letzten Winter gewesen bin. Offenbar kann man hier nicht nur bei Schnee, sondern auch im Sommer recht gut gehen. Wiesenmatten und Heidelbeersträucher, und immer wieder kleine und größere Seen, Vögel zwitschern ...

 

Die Wellen kräuseln sich im Wind

 

Auf der Geländerippe entlang des Hysvannet

 

Abstieg zum Futelva

 

Auf der Geländerippe am Rand des Futelvdalen (nw. elv = Fluss, Bach), in dem auch das Hysvannet, liegt, wird es dann etwas steiniger. Allerdings merke ich bald, dass ich mein heutiges Ziel, das Langvannet, nicht werde erreichen können. Der neue Rucksack lässt sich zwar deutlich besser tragen als der alte. Aber ich hatte mir noch in Wien eine Blase an der rechten Ferse zugezogen, die trotz Pflaster sehr empfindlich ist. Ich gehe deshalb eher langsam.

Die Rippe entlang des Hysvannet zieht sich. Es geht auf und ab, immer wieder taucht ein neuer Gupf vor mir auf. Schließlich erreiche ich das gegenüberliegende Ende des Sees. Dort steht eine Hütte. Und dann sehe ich auch von Weitem vier Fischer, die offenbar ihr Glück an einem Flussknie des Futelva versuchen. Als ich zum Flussknie hinunter absteige, sind sie aber verschwunden.

Und jetzt sitze ich vor meinem Zelt und genieße die frische Kühle des nördlichen Sommerabends.

 

Freitag, 4. Juli 2025

Als ich zum erstenmal die Landkarte der Nordkinnhalbinsel betrachtete, war es schwierig für mich, dort Möglichkeiten für Touren durchs Gelände zu erkennen (ich suche mir hier heroben ja meist meine eigenen Wege). All diese langen Felsrippen, die Richtung Norden verlaufen. Und dazwischen jede Menge Seen. Das Ganze wirkte auf mich wie ein löchriger Emmentaler.

Aber schön langsam beginne ich die Struktur dieser Landschaft und damit auch sinnvolle Wege durch dieses Gewirr zu entdecken. Quer zu den Felsrippen von einem Tal ins nächste zu stapfen ist extrem mühsam, wenn man sich in Küstennähe befindet. Denn das bedeutet einen Auf- und Abstieg nach dem anderen, in der Regel durch steiniges Gelände. Aber je mehr man sich der Wasserscheide zwischen Nord und Süd nähert, desto höher wird das Gesamtniveau des Terrains, die Täler werden flacher, die Riegel dazwischen leichter begehbar.

Und genau hier befindet sich offenbar auch eine beliebte Freizeitregion der Einwohner:innen von Mehamn. Die Hütte am Hysvannet habe ich ja schon erwähnt. Das parallel dazu verlaufende Langvannet wird sogar von mindestens fünf Hütten gesäumt. Und auf dem Weg dorthin treffe ich einen Norweger, der mit seinem Quad unterwegs ist. Er bleibt stehen, und wir plauderten kurz. Er habe die Erlaubnis für fünf Fahrten jährlich, sagt er, und zeigte auf seine Ladung – Teile von Sitzmöbeln und einen Lattenrost. Die übrige Zeit würden sie zu Fuß zur Hütte gehen.

 

Hütte am Langvannet, im Hintergrund der Abfluss des Sees ins Nachbartal

 

Das Langvannet ist ein besonderer See – nicht nur wegen seiner unglaublichen Länge. Denn er fließt quasi auf der verkehrten Seite ab. Obwohl die Flüsse hier alle Richtung Norden fließen, hat er seinen Abfluss am südlichen Ende. Irgendwann, vielleicht schon während der Eiszeit, hat er sich dort einen Abfluss ins benachbarte Längstal zum Sandfjordelva gegraben. Ein Blick in die Karte bestätigt diese Beobachtung. Ein Abfluss an der "unteren", nördlichen Seite des Sees ist offenbar nicht möglich wegen einer raumgreifenden Erhebung, "Lille Børstingen" genannt, die das Tal dort versperrt.

Und ich habe beschlossen, mein Zelt am Sandfjordelva aufzuschlagen.

 

Samstag, 5. Juli 2025

Anfangs ist das Wetter noch ganz angenehm. Immer wieder kleine Nieselschauer, aber dazwischen auch zaghafte Sonnenstrahlen. Doch als ich mich dem Risfjordelva nähere, beginnt es so richtig zu regnen. Glücklicherweise nicht allzu lang.

Auf dem Weg ins Flusstal gehe ich in einer Art Stufenlandschaft von See zu See hinunter. Einmal sehe ich eine größere Gruppe von Schwänen, geschätzte 8 bis 10 Stück, die bei meinem Herannahen zum nächsthöheren See flüchten.

 

Hier geht's runter zum Risfjordelva

 

Die Furt durch den Risfjordelva ist sehr okay. Das Wasser ist zwar an einer Stelle sehr tief und reicht mir fast bis an den Schritt. Die Strömung ist aber sanft an dieser Stelle. Mein Zelt schlage ich dann an dem kleinen See oberhalb des Flussdeltas auf. Eine wunderbare Position, denn von hier aus habe ich einen weiten Blick ins Tal und übers Koifjordvannet.

 

Sonntag, 6. Juli 2025

6:45
Es hat in der Nacht geregnet. Auch jetzt kann ich noch einzelne Tropfen spüren. Und kalt ist es! Heute ist es eine echte Überwindung, für die tägliche morgendliche Wäsche nach draußen zum Bach zu flitzen.

19:20
Heute erlebte ich wieder einmal, wie schnell hier die Verhältnisse kippen können.

Als ich das Tal des Tyfjordstrupen hinaufmarschierte, besserte sich das Wetter, und es kam immer wieder mal minutenlang die Sonne heraus. Der eisige Wind blieb allerdings. Und auch ich blieb warm eingemummt.

 

Tyfjordstrupen

 

Als ich dann dem Flusslauf folgte, der im oberen Teil des Tyfjordstrupen nach rechts abbiegt, zog es wieder zu. Vor allem über dem Koifjordfjellet sah es recht dunkel aus. Und als ich schließlich die markierte Route erreichte, die vom Tyfjorden in Richtung Skjånes führt, setzte Dauerregen ein.

Ich merkte auch gleich, dass es hier rauer und kälter ist als auf der "Seenplatte". Denn östlich des Risfjordelva, zwischen Omgang im Norden und Skjånes im Süden, sind die Berge im Schnitt um 100 bis 200 m höher als auf der anderen Seite des Risfjordelva. Ich sah auch, dass hier viel mehr Schnee lag.

Die eigentliche Herausforderung kam aber erst. Denn der Regen und vor allem der eisige Wind wurden immer heftiger. Und als ich schließlich vor der Furt des Rafjordelva stand, sah ich, dass der Fluss aufgrund der Schneeschmelze viel mehr Wasser führte als im Vorjahr. Dies hier war die einzige Stelle weit und breit zum Furten. Denn unterhalb davon stürzte sich der Fluss steil bergab in den Fjord. Und oberhalb befand sich ein großer, langgestreckter See, der von meiner Furt durch einen kleinen Wasserfall getrennt war.

Ich musste also da durch, sah aber, dass die Stromschnellen in Flussmitte ganz schön kräftig waren. Bei meinem ersten Versuch, den Fluss zu queren, musste ich wieder umkehren, weil ich merkte, dass der Wasserdruck zu groß und das Wasser zu tief wurde. Es war ein heikler Moment, in dieser Situation zu wenden. Aber ich schaffte es, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Ein paar Meter weiter unten fand ich dann eine Passage, die zwar auch herausfordernd, aber machbar war.

 

Die Furt über den Rafjordelva ist geschafft

 

Meine Wanderhose, die ich beim Furten ausgezogen hatte, war inzwischen vom Regen klatschnass. Und ich fror ziemlich. Ich wusste aber vom Vorjahr, dass gleich in der Nähe ein kleiner See mit einem potenziellen Zeltplatz war. Tatsächlich. Nur war der Wind inzwischen so stark, dass er mir die Heringe meines Zeltes sofort wieder aus dem Erdboden zerrte. Ich fand Steine in der Nähe zum Beschweren und hoffe, dass das Zelt nun hält. Allerdings drückt der Wind das Zelt immer wieder kräftig zur Seite oder in Richtung Boden, sodass ich dauernd die Zeltplane im Gesicht habe.

Kochen ist unter solchen Bedingungen schwierig. Aber ich bin so ausgefroren, dass ich auf eine heiße Mahlzeit nicht verzichten will. Also tue ich etwas, wovor stets gewarnt wird – ich suche mir eine Stelle in Zeltmitte, wo die Zeltwände noch am wenigsten hereingedrückt werden, stelle den Windschutz auf und wärme mir Wasser für mein Chicken Curry. Dabei achte ich sehr genau darauf, dass die Zeltplane ja nicht mit der Flamme in Berührung kommt.

 

Montag, 7. Juli 2025

Also mein Zelt hat die steife Brise überstanden! Anfangs knatterte und bauschte sich die Zeltplane zwar noch wild. Aber am späteren Abend besänftigte sich der Wind etwas. Er zerrte immer noch am Zelt, schien es aber nicht mehr aushebeln zu wollen. Und ich konnte doch noch recht gut schlafen. Bis 8:00 Früh.

Und als ich morgens zum Zelt hinausschaue, sehe ich, dass sich dichter Nebel über die Landschaft gelegt hat ...

21:30
So, jetzt habe ich endlich meine ganze Wäsche gewaschen. Sie hängt draußen an den Zeltleinen. Und ich hoffe, dass es nicht wieder zu regnen beginnt. Denn nachdem heute Vormittag ein paarmal die Sonne durchkam, nieselte es am Nachmittag immer wieder. Nicht viel, aber gerade so, dass man nicht wusste, soll man die Regenkluft wieder herausholen oder nicht?

Jedenfalls haben mich die sonnigen Momente sofort wieder froh gestimmt. Von einer Hügelkuppe unweit meines Zeltplatzes hatte ich dann einen schönen Einblick in den Rafjorden. Ich sah sogar die Flusswindung des Rafjordelva und einen Teil von Hamna, das vielleicht einmal als Anlegestelle für Fischerboote benutzt wurde (nw. hamn bedeutet "Hafen").

Insgesamt ist der Rafjorden recht schroff. Steile Seitenwände, nicht einmal an der Mündung des Rafjordelva gibt es flachere Bereiche. Hamna an der linken Seite, wo ein Bach in den äußeren Teil des Fjords mündet, ist wirklich die einzige Stelle, wo es etwas flacher und grünüberwachsen ist.

 

Blick in den Rafjorden hinunter

 

Gleich neben dem markierten Trail beginnt die Steinwüste

 

Der Storvarden grüßt herüber

 

Als ich dann zu der Stelle kam, wo ich laut meinem Plan eigentlich die Direttissima zur Svensvika (nw. vik = Bucht) einschlagen wollte, sah ich, dass ich da kilometerweit über Steinhalden klettern hätte müssen. Wie schon beschrieben, ist der östliche Teil von Nordkinn mit Bergen von 300 bis knapp 500 m für hiesige Verhältnisse sehr hoch. Das bedeutet aber, dass man außer in geschützten Lagen entlang von Flusstälern immer wieder mit nackten Steinhaufen rechnen muss. Steinhaufen deshalb, weil diese Berge bis auf einige wenige Felsen wirklich nur aus lauter unterschiedlich großen Steinen zu bestehen scheinen. Ein Relikt aus der Zeit vor der letzten Eiszeit, wie es heißt.

Ich beschloß also, direkt nach Skjånes zu gehen und mir dort einen Zeltplatz in der Nähe zu suchen. Nämlich am Bjørnelva, dem ersten Fluss auf dem Küstenweg in Richtung Svensvika. Dort werde ich zwei Nächte bleiben und habe dadurch morgen einen rucksackfreien Tag zum Wandern :)

 

Skjånes wird sichtbar

 

Hier wird noch Dörrfisch auf traditionelle Art und Weise getrocknet

 

Vorher ging ich aber noch nach Skjånes hinein, um den Platz zu sehen, an dem ich Mittwoch Früh mit dem Flekstaxi nach Ifjord und weiter nach Lakselv fahren will. Den Skjåneskai fand ich bald. Ob hier der Fleksbus wegfährt, fragte ich zwei Hafenarbeiter. Denn eine ausgewiesene Haltestelle mit Schild gibt es hier keine. Aber beide erwiesen sich als Ausländer, die kaum Englisch sprechen. Und Norwegisch schon gar nicht.

Dann besuchte ich das einzige Geschäft des Ortes. Es hat Mo-Fr von 11:00-16:00 geöffnet. Heute war es schon zu, sonst hätte ich hineingeschaut, um zu wissen, ob es hier brauchbaren Proviant für künftige Touren in dieser Gegend gäbe.

Mein Handy zeigte mir an, dass es hier im Ort auch eine Touristenunterkunft gibt, "Catcher" genannt. Ich rief dort an, denn zwei Nächte in einem Zimmer mit Dusche und Clo wären auch nicht zu verachten. Aber eine Stimme in gebrochenem Englisch teilte mir mit, dass alles voll ist. Das Haus war vermutlich voll von finnischer Touristen, die gerne hierher kommen zum Fischen, erfahre ich später.

Also marschierte ich mit meinem Rucksack den alten Küstenweg entlang zum Bjørnelva, wo ich nun mein Zelt aufgeschlagen habe. Mir gegenüber befindet sich die hintere Seite der kleinen Skjånes-Halbinsel, Ytre Hop genannt.

 

Dienstag, 8. Juli 2025

9:45
Es tut so gut, wieder einmal einen richtig entspannten Morgen zu verbringen. Bei angenehmen Temperaturen. Hier gibt es richtige Wiesen, nicht die kargen Matten des Hochlands. Schwedischen Hartriegel, Heidelbeerstauden (sie sind leider noch nicht reif), Hahnenfuße, Trollblumen, Steinnelken und einige andere Blumen, deren Namen ich nicht kenne. Auch Büsche, und an den Hängen Birkenhaine. Soeben ist eine Hummel von Blüte zu Blüte geflogen. Es ist schon erstaunlich, wieviel es ausmacht, dass Skjånes etwas südlicher als Mehamn gelegen ist.

Ich hatte auch richtig geraten, dass die Einheimischen hier auf diesem idyllischen Küstenpfad ihre Hunde "lüften", wie die Norweger sagen (nw. lufte hunden = den Hund äußerln führen). Soeben ist eine Mutter mit Kind und einem Husky vorbeigekommen. Gut, dass ich mein Zelt etwas abseits des Weges hingestellt habe.

Obwohl die Sonne hinter den Wolken nur zu erahnen ist, hat das Morgenlüftchen auch meine Wäsche weitgehend getrocknet. Jetzt hänge ich sie aber ins Zelt. Denn es geht auf zur Svensvika.

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Was für ein Tag! Da geht einem so richtig das Herz auf!
Als ich den Küstenweg entlangmarschiere, kommt die Sonne heraus. Und ich freue mich über die Vielfalt an Blumen und Vögeln, über das Zusammenspiel von Licht und Farben.

 

Küstenpfad zwischen Bjørnelva und Kjeskelvika

 

Kjeskelvika mit Hamneskjerringa und Klubben

 

Die Kjeskelvika entpuppt sich als entzückende Bucht. Weitläufig, karger als die Bjørnvika. Ein weiter Blick auf das silbrig glänzende Meer und die Berge auf der anderen Seite des Hopsfjorden.

Und da steht ein silbergraues Holzhaus, wie gemacht für mich! Leider schon in schlechtem Zustand. Die Türen und Fenster sind alle mit Brettern vernagelt, um das Wetter draußen zu halten. Aber am Dach fehlen bereits große Stücke der Dachpappe.

Als ich dann hinauf zum Kjeskelvikvannet und weiter in Richtung Svensvikdalen gehe, komme ich plötzlich an einem perfekt geformten Steinkreis vorbei, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte. In der Svensvika ja, dort sollen es laut www.kulturminnesok.no sogar zwei sein. Aber hier? Ich mache ein Foto von dem Steinkreis mit dem namenlosen See 75 im Hintergrund, und den markanten Bergkuppen von Finnurda und Raigebákti.

 

Die Steinkreise in der Svensvika und auf Bringnes

In der Finnmark finden sich immer wieder Steinkreise, die in der Regel als alte Opferplätze angesehen werden. Manche, wie jene in der Svensvika oder auch der Steinkreis in der Sylteviksmoan auf der Varangerhalbinsel bestehen einfach aus einer eher niedrigen kreisförmigen Aufschichtung von Steinen. Bei anderen, wie jenen an der Spitze von Bringnes, wurden aus Steinplatten regelrechte Ringmauern aufgeschichtet.

Manchmal finden sich auch noch Andeutungen eines Altars in der Mitte, oder Knochenreste von Opfertieren. In den Steinkreisen, die ich bis jetzt gesehen habe, fand ich derartiges nicht. Allerdings könnte m.E. die kleine Nische in der Innenmauer des kleinsten der drei Steinkreise auf Bringnes der Aufbewahrung von Opfergaben und Knochen gedient haben. Einige der Steinkreise befinden sich auch in der Nähe von alten Grabstätten, was ebenfalls auf kultische Aktivitäten hinweist.

 

Steinkreis auf dem Weg zur Svensvika am namenlosen See 75

 

Und hier der Steinkreis in der Svensvika selbst

 

Einer der beiden größeren Steinkreise auf Bringnes

 

Links unten ist im kleinsten Steinkreis auf Bringnes eine kleine Nische in der Mauer sichtbar

 

Der auf samische Geschichte spezialisierte Uniprofessor Lars Ivar Hansen und der Archäologe Bjørnar Olsen schreiben in ihrem Buch ("Samenes Historie fram til 1750") auf S. 210 f., dass viele dieser Steinkreise mit Hilfe von Karbondatierungen dem 12. und 13. Jahrhundert zugeordnet werden konnten. Funde von Tierknochen in diesen Ringen gehen allerdings hauptsächlich auf den Zeitraum zwischen 1450 und 1650 zurück.

Vom 12. bis zum 17. Jh. waren die Samen zunehmendem Druck durch die Umwelt ausgesetzt. Einerseits etablierten sie Handelsbeziehungen von Westeuropa bis nach Russland. Andererseits gab es politischen und missionarischen Druck. Hansen&Olsen vermuten deshalb, dass in dieser Zeit vermehrt auf samische Kultpraktiken und Opferrituale zurückgegriffen wurde, um die samische Kultur gegenüber diesen Einflüssen von außen zu stärken. Die Zunahme der Spuren von Opfern und Tierknochen in dieser Zeit könnte damit zusammenhängen.

Allerdings gibt es in der Forschung auch Stimmen, die in den Steinkreisen ursprünglich Wolfsfallen sehen wollen. Hansen&Olsen weisen allerdings darauf hin, dass Art und Menge der Knochenfunde mit jener von anderen Opferstätten aus der fraglichen Zeit zusammenpassen, und dass lokale Traditionen einige der Ringe ausdrücklich mit Opferriten verknüpfen.

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Das Tal des Svensvikelva, der aus dem namenlosen See 75 abfließt, verengt sich schließlich immer mehr, und ich weiche auf die Hügelkuppe linker Hand aus. Schließlich sehe ich die Svensvika vor mir. Und ich bin begeistert über diesen idyllischen Ort. Rundherum von markanten Bergen flankiert – rechter Hand die bereits erwähnten Finnurda und Raigebákti, linker Hand das Rafjordneset. Denn der Rafjorden ist ja unmittelbarer Nachbar der kleinen Svensvika.

Ich entdecke auch die beiden Steinkreise, wobei der eine schon etwas in Mitleidenschaft gezogen ist. Doch der andere ist perfekt. Ich setze mich und genieße die Aussicht von hier aus. Vor mir in der Bucht liegt ein kleiner See. Und ich bemerke, dass der Svensvikelva, der eigentlich ein Bach und kein Fluss ist, in diesen See hineinfließt, aber nicht mehr heraus. Er endet hier. Es gibt keinen Abfluss zum Meer.

Hinter dem See steht ein rot bemaltes Holzhaus, jedenfalls soweit die Farbe noch dran ist. Es ist in weit besserem Zustand als jenes in der Kjeskelvika. Alle Fenster haben noch Glas. Auf der Wetterseite sind die Glasfenster mit Holzbalken geschützt. Aber durch die Zwischenräume zwischen den Brettern kann ich durchsehen. Da ist eine gemütlich eingerichtete Stube mit Eisenofen und drei Ahnenbildern an der Wand. Daneben eine geräumige Küche. Und ein Schlafzimmer. Oben gibt es auch noch Fenster unter dem Giebel. Ich beginne mit dem Gedanken zu spielen, die Besitzer:innen dieses Hauses ausfindig zu machen. Und sie zu fragen, ob ich einige Wochen hier wohnen dürfte. Denn dass das Haus regelmäßig benutzt wird, erscheint mir unwahrscheinlich.

 

Hier geht's zur Svensvika

 

Das rote Haus

 

Aufgrund der Spuren im Boden – Reste von Fundamenten aus Steinen oder Lehm – kann ich feststellen, dass in der Svensvika früher noch zwei weitere Häuser gestanden haben müssen.

Und unten am Ufer ist die Ruine eines Bootshauses, aus dem keck der Bug eines Bootes in die Höhe ragt, so als wollte es einen Luftsprung machen.

Ich gehe noch am Ufer entlang Richtung Rafjordneset, finde interessante Steine und viele Knochen, vermutlich von Rentieren. Auch Fisch- und Vogelskelette, und die Brustpanzer und Beine von Riesenkrabben (Kongekrabber). Bis zur Felsnase gehe ich dann aber doch nicht, denn ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass es schon 16:00 ist, und ich muss ja noch zurück. Doch während ich auf dem Hinweg ganze sechs Stunden gebraucht habe, mit Schauen und Fotografieren etc., benötige ich für den Rückweg gerade mal knapp zwei Stunden.

Zurück bei meinem Zelt stürzen sich dann leider die Gelsen (Moskitos) auf mich. Ich wärme mir noch rasch eine Trekkingnahrung, "Creamy Salmon With Pasta", mmmh! Und ziehe mich zum Essen ins geschlossene Innenzelt zurück.

 

Mittwoch, 9. Juli 2025

Snefjord ist ein kleiner Ort auf der Porsangerhalbinsel, an der Straße 889 zwischen Smørfjord und Havøysund. Nicht viele kennen ihn. Selbst Norweger schauen oft fragend, wenn man ihn erwähnt. Der Grund, warum ich ausgerechnet diesen Ort als mein nächstes Ziel auserkoren habe, liegt an einer speziellen Felsformation, die es mir angetan hat.

Genauer gesagt, geht es hier um eine riesige, deutlich über zwei Meter hohe Steinkugel, die weithin sichtbar auf dem höchsten Punkt einer rundgeschliffenen Felskuppe liegt. Dieser spezielle Ort hat offenbar auch die Samen fasziniert.

 

Der Noaidestein von Snefjord

Der Noaidestein soll alten Quellen zufolge ein Opferstein gewesen sein, schreibt Arvid Sveen ("Mytisk Landskap", S. 87-89). Auf samisch heißt er Noaidegeađgi. wobei geađgi einfach "Stein" bedeutet. Und Noaide ist die nordsamische Bezeichnung für einen Schamanen, dessen Rolle in der samischen Gesellschaft laut Sveen die eines "Wegweisers in spirituellen und alltäglichen Fragen" ist. Der Noaide konnte "Priester, Ratgeber und Arzt" sein und auf seinen Seelenreisen den Kontakt zu geistigen Wesen im Himmel und in der Unterwelt herstellen.

Manche Noaiden aber hatten sich auch der Zauberei verschrieben. Und das scheint in Snefjord der Fall gewesen zu sein. Denn der Noaidegeađgi wird auch Gannarstein oder Gandkallstein genannt. Wobei gand für Zauberei, eher in einem negativen Sinn, steht.

Der Sage nach soll ein Stallu, ein Wesen, das am ehesten mit unseren Riesen vergleichbar ist, oder mit einem Waldtroll, den Gannarstein bis nach Snefjord getragen haben. Abdrücke sowohl seines Rückens als auch des Tragebands, das er dabei verwendete, sind bis heute zu sehen. Und der Berg, der nördlich des Steins liegt, heißt Stálločohkka, also Stallus Berg.

 

Noaidestein oder Gandkallstein

 

Der Snefjordelva windet sich wie eine Schlange zum Meer

 

Sagenumwoben ist auch der Snefjordelva, der nur einen Kilometer lang vom Snefjordvannet unterhalb des Noaidegeađgi in ausgeprägten Schlangenlinien ins Meer fließt. Früher soll das Snefjordvannet kein See, sondern der innere Teil einer Meeresbucht gewesen sein. Dort hauste die Meerschlange mit ihrem großen Kopf und dem langen, gewundenen Körper. Aber die Landmasse der Finnmark, so Sveen, hob sich deutlich, nachdem das Inlandseis der letzten Eiszeit hinweggeschmolzen war. Vielleicht passierte es deshalb, dass die Meerschlange, die lange Zeit dahingedöst hatte, plötzlich aufwachte und entdeckte, dass sie sich in einem Binnensee und nicht mehr im Meer befand. Mit aller Kraft grub sie sich einen Weg durch die Sandbänke zum Meer hinaus. Und deshalb windet sich der Snefjordelva bis heute wie eine Schlange vom Snefjordvannet, das auf samisch Muorraljávri heißt, zum Meer.

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Und nun sitze ich also am Ufer des Snefjordvannet bei meinem Zelt, mit direktem Blick auf eben diesen Stein. Von hier aus sieht es fast so aus, als würde eine riesige Kugel den Berghang hinunterrollen.

Ich möchte aber auch noch über meine heutige Fahrt von Skjånes hierher berichten. Snelandia (www.snelandia.no) ist offenbar ein sehr gut funktionierendes und flexibles öffentliches Transportsystem in der Finnmark. Für wenig befahrene, eher abseits gelegene Routen muss man vorbestellen. Leider akzeptiert die App keine ausländischen Telefonnummern, sodass man dafür im Snelandia-Büro anrufen muss.

 

Skjånes Kai

 

Bootssteg in Skjånes

 

Als ich heute Früh um 8:00 am Skjåneskai wartete, stieß eine ältere Dame mit einem kleinen Trolley zu mir, die auf dem Weg nach Oslo war. Für einen Kurzurlaub, wie sie sagte. Im Flekstaxi von Snelandia plauderten wir dann angeregt weiter. Sie wollte alles über meine Touren auf der Nordkinnhalbinsel wissen. Und ich erzählte gern und eifrig.

Von Umsteigen in Hopseidet (samt 1 Stunde Wartezeit laut Fahrplan) war dann keine Rede. Der Chauffeur sagte, er würde uns beide bis nach Ifjord bringen, müsse aber vorher noch ein paar Leute von Mehamnbru abholen. Dort füllte sich der Bus dann. Und es war ein gemütliches Miteinanderplaudern. Eine zweite ältere Dame sprach mich an. Sie sei unterwegs nach Tana, um mit ihrem Sohn eine Bergtour zu machen. Sie erzählte auch von ihrer Kindheit. Wie ihr Vater sie als Kind auf seinem Fischerboot mitgenommen hatte. Und dann wurde sie seekrank. Und der Vater setzte sie kurzerhand auf Store Kamøya ab, einer kleinen Insel, auf der sich nur Vögel befinden, und früher angeblich auch ein Fuchs, wohl wegen der Vogeleier. Und nach ein paar Stunden holte sie der Vater dort wieder ab.

Von Ifjord gings dann mit Bus 110 weiter. Für mich war diese Fahrt auch deshalb interessant, weil sie durch ein Gebiet führte, das ich für künftige Wanderungen ins Auge gefasst habe. Die Landschaft hat hier einen ganz anderen Charakter als oben auf Nordkinn. Im unteren Bereich überall ausgedehnte Birkenwälder. Die Berge deutlich höher und markanter als ganz oben im Norden. Und die Hauptflüsse so breit, dass sie vermutlich schwierig zu furten sind, wenn überhaupt.

In Lakselv versorgte ich mich dann mit Proviant für den zweiten Teil meines Wanderurlaubs. Und dann machte ich einen Fehler. Ich entdeckte in einem Sportgeschäft Wanderkarten von genau jenen Gebieten, die ich näher ins Auge gefasst hatte. Und konnte nicht widerstehen. Obwohl ich wusste, dass ich am Ende meines Urlaubs wieder hierher zurückkommen und von hier aus nach Hause fliegen würde, erstand ich insgesamt 7 Wanderkarten, obwohl zwei für meine Route von Snefjord nach Kåfjord gereicht hätten. Als Strafe für meine Gier musste ich sie nun also die ganze Zeit mitschleppen.

Erwähnenswert ist auch noch die letzte Etappe meiner Reise mit dem Flekstaxi vom Olderfjord Bussterminal (sic!) nach Snefjord. Als ich mich ans Aussteigen machte, fragte mich der Chauffeur, ob ich hier Leute besuchen wolle? Nein, sage ich, ich möchte von Snefjord nach Kåfjord gehen. Sooo weit??? Nachdem ich ihm versichert hatte, dass ich gut ausgerüstet und auf alle Eventualitäten vorbereitet sei, umarmte er mich noch spontan zum Abschied und wünschte mir Glück. Mir war ganz warm ums Herz, als ich schließlich den Snefjordelva entlang stapfte auf der Suche nach einem Zeltplatz.

 

Donnerstag, 10. Juli 2025

Habe jetzt den Noaidestein noch einmal besucht und auch dort meditiert. Es ist ein schöner Platz, mit weitem Blick aus Meer hinaus, auf den Fluss, den See und ins Hinterland hinein.

Als ich gestern die in Lakselv erworbene Landkarte zu dem Gebiet hier studierte, fiel mir auf, dass es im Bereich Snefjord auch andere Ortsnamen gibt, die auf samischen Kult hinweisen. Da gibt es z.B. hinter dem Stálločohkka ein Sieidevággi, eine Talsenke, die offenbar in irgendeiner Form mit Seid verknüpft war. Wenn ich mich richtig erinnere, ist Seid so etwas wie weiße Magie, während Gand eher der eigennützigen oder schwarzen Magie zuzuordnen ist.

 

Freitag, 11. Juli 2025

5:00
Da draußen schnarrt irgendwo zart ein Schneehuhn. Im See vor mir habe ich gerade Fische beim Schnappen an der Wasseroberfläche beobachtet. Vermutlich nach Insekten. Der Himmel ist teilweise blau mit schütteren, rosa von der Morgensonne gefärbten Wölkchen dazwischen. Es dürfte ein schöner Tag werden.

 

Morgenstimmung am See 287

 

Das Wetter lädt zum Seelebaumeln ein

 

Und an der gegenüberliegenden Seite von See 287 (es gibt hier im Hochland viele namenlose Seen, die auf der Karte einfach mit ihren Höhenmetern bezeichnet werden) verläuft ein Rentierzaun. Einer von vielen. Offenbar bin ich hier mitten in einem angestammten Samengebiet. Gestern die kleine Samengamme (gamme = "alte Hütte"), die ich in der Nähe des Snefjordvannet entdeckte. Teilweise sah man noch den Torf an den Außenwänden, der vermutlich einmal die ganze kleine Hütte bedeckte. Der Eingang war so niedrig, dass man kriechen musste. Warum ich trotzdem glaube, dass dort Menschen und nicht Tiere Unterschlupf suchten, ist die Tatsache, dass vor dem Eingang feinsäuberlich ein breites Brett aufgelegt war. Und vor der Gamme befand sich eine Feuerstelle. Vielleicht wurde die Hütte genutzt, wenn die Rentierherden hier grade durchzogen.

 

Die kleine Samengamme beim Snefjordvannet

 

Schon wieder schnappende Fische im See. Man sieht es jetzt gut, weil die Oberfläche beinahe spiegelglatt ist. Windstille. Draußen tanzen die Gelsen durch die Luft. Aber sie behelligen mich nicht. Das ist das Seltsame. Auch gestern schon hatte ich beim Wandern kaum Probleme mit ihnen.

Oh, jetzt sind mein Zelt und der See und das Fjell (nw. Fjell = Berg, Gebirge) vor mir in Morgensonne getaucht. Und ich spüre, wie es warm wird. Obwohl, so richtig kalt war es hier auch in der Nacht nicht.

Gerade habe ich übrigens neugierig aus dem Zelt geblickt, weil ich kreischende Rufe hörte. Und sah zwei Enten mit weißem Brustfleck auf dem See schwimmen.

Es dauerte gestern einige Zeit, bis ich von meinem Zeltplatz am Snefjordvannet auf den alten Karrenweg stieß, der mich durchs Hochland führen soll. Eine zeitlang ging ich quasi parallel zu diesem Weg, auf der anderen Seite eines Höhenrückens. Aber dadurch habe ich doch ein Stück Weges abkürzen können.

Der Weg selbst ist gut sichtbar und wird offenbar regelmäßig mit Quads befahren. Zum Gehen ist das recht angenehm, weil man sich nicht drum kümmern muss, wo man im Gelände am besten durchkommt. Auch die Navigation wird einem abgenommen. An manchen Stellen verzweigen sich allerdings die Pfade, und da heißt es dann aufpassen. So wie gestern, als ich auf einer Höhenkuppe die Wasserscheide überschritt.

Und einmal habe ich gestern ein Vogeljunges aufgeschreckt. Ich glaube, wir waren beide erschreckt. Es saß direkt neben dem Weg am Boden und flog auf, als ich kam. Konnte aber noch nicht so richtig fliegen und bewegte sich halb hüpfend, halb flatternd vorwärts. Und da war auch schon die Vogelmama, die mich eifrig abzulenken versuchte, indem sie lahme Flügel vortäuschte und sich laut zirpend und hüpfend vor mir auf dem Weg und weg von dem Vogeljungen bewegte.

10:30
Habe grade gesehen, dass die Oberfläche des Sees voller toter Mücken ist. Vermutlich ein wahres Festessen für die Fische.

Ich genieße die Sonne und werde zunächst hier bleiben. Warte, bis meine Wäsche trocken ist. Lade die Powerbank mit meinem Solarpanel auf. Und werde vielleicht am Nachmittag weitergehen.

 

21:10
Bin am Nachmittag um ca. 15:00 losgestartet von See 287 und war überrascht, wieviel Energie ich hatte. Das war wohl das köstliche Asian Curry, das ich mir zu Mittag gegönnt hatte.

Eine zeitlang ging es so dahin wie gestern – karges, aber gehfreundliches Gelände, immer wieder Seen. Doch die Steine wurden zahlreicher. Und bald konnte man die Quadspuren streckenweise nur noch undeutlich oder gar nicht mehr sehen. Als ich mich den beiden größeren Seen Stuorra und Unna Ráššajávri näherte, sah ich plötzlich nur noch Steine vor mir, so weit das Auge reichte. In Steine gebettete Seen, aus Steinhaufen bestehende Berge ...

Schließlich machte ich mir gar nicht mehr die Mühe, nach Quadspuren zu suchen, sondern suchte mir meinen eigenen Weg durchs Gelände. Und das ging überraschend gut. Es gab doch immer wieder streckenweise gehfreundliche Passagen. Und als ich den Verbindungsfluss zwischen den beiden großen Seen erreichte, sah ich zu meiner Überraschung, dass auf der anderen Seite auf einer Hügelkuppe eine kleine Hütte stand.

 

Viel Wasser und jede Menge Steine

 

In der Hütte ist es recht gemütlich

 

Und genau in dieser Hütte sitze ich jetzt. Es gibt sogar ein Hüttenbuch. Die meisten, die hierherkommen, tun das mit Quads bzw. im Winter mit Schneescootern. Um zu fischen, zu jagen oder Rentierzäune zu flicken, Rentierherden einzusammeln und was halt sonst noch so zur Rentierhaltung gehört.

Es riecht etwas muffig hier herinnen. Und ich habe gleich einmal gründlich gelüftet. Aber ansonsten ist alles wunderbar.

Gerade kam ein Same mit zwei Huskies auf seinem Quad vorbei. Er sieht nach seinen Rentieren, bleibt aber nicht auf der Hütte, sagte er. Ich fragte ihn nach dem weiteren Weg. Und er sagte, eine gute Meile oder so von hier weg müsse ich mit vielen Steinen rechnen. Aber danach gäbe es keine Schwierigkeiten mehr. Die Flüsse seien leicht zu furten. Und auf der anderen Seite der Wasserscheide würde ich ja dann auf den Nordkappveien stoßen, der gut zu gehen sei. Und ich könne gern auf der Hütte bleiben. Wie ich sie denn finde? Wunderbar, sage ich. Angenehm nach so vielen Tagen im Zelt.

Er meinte auch, ich habe Glück mit dem Wetter. Der Nebel, der gerade über die Bergkuppen krieche, sei nur über Nacht da. Morgen sei es wieder schön ...

 

Samstag, 12. Juli 2025

Doch als ich am nächsten Morgen aus der Hütte schaue, ist da nichts als Nebel, dichter Nebel. Außerdem spüre ich, dass eine Verkühlung, Schnupfen und Husten, im Anmarsch ist. Es ist gut, dass ich heute in der Hütte schlafen konnte.

Die "Schlüsselpassage" über die Wasserscheide hinüber zum Nordkappveien, wo auf der Karte kein Weg eingezeichnet ist und deshalb Überraschungen lauern können, erweist sich als harmlos. Anfangs ist der Nebel zwar noch dicht. Und es dauert etwas, bis ich mich mit Hilfe des GPS auf die richtige Marschrichtung eingependelt habe. Aber nachdem ich den wirklich steinigen Bergrücken, auf dem die Hütte steht, überquert habe, komme ich am Ende der Ráššajávri-Seengirlande zu einem sanften begrünten Tal, das mich entlang eines Rentierzauns zu einer ebenso sanften begrünten Wasserscheide führt. Rechts und links sind zwar die üblichen steinübersäten Berge. Doch hier führt offenbar ein alter Weg durch, wie ich richtig vermutet habe.

 

Dichter Nebel beim Start

 

Entlang des Rentierzauns über die Wasserscheide

 

Die Furt ist harmlos

 

Auch die beiden Furten bei dem See, der auf der Landkarte wie ein riesiger Embryo aussieht, sind einfach. Es genügt, in die Sandalen zu schlüpfen und die Hosenbeine hochzukrempeln. Ich muss die Hose nicht einmal ausziehen. Bereits während des Aufstiegs zur Wasserscheide hat sich auch die Sonne durchgesetzt.

Nach der Überquerung eines weiteren Flusses oder eigentlich Baches, der Rávdoljohka, muss ich mich entscheiden, ob ich auf dem Hauptweg oder einem Nebenweg in Richtung Nordkaptunnel/Kåfjord gehen will. Der Nebenweg, der einige Zeit später in den Hauptweg mündet, führt auf sanften Hügelrücken im Talgrund an diversen Seen vorbei. Zum Hauptweg muss ich auf einen 478 m hohen Kamm namens Bealjáidčopma hinaufsteigen. Ich entscheide mich für letzteres, und es zahlt sich aus! Denn von dort oben sehe ich weit übers Land, in beide Richtungen. Links der Gehrichtung der eher sanfte Talgrund, aus dem ich gekommen bin. Rechts eine rauere Landschaft mit höheren und etwas steileren Bergen.

 

Ich stoße auf den Nordkappveien

 

Hier geht es immer den Zaun entlang

 

Der Nordkappveien führt wieder entlang eines Rentierzauns. Und ich bin so neugierig auf neue Ausblicke und Geländeformationen, dass ich zwei kleinere Seen, die sich zum Bleiben anbieten, einfach ignoriere. Doch oben auf dem Höhenrücken ist Wasser rar. Gegen 20:30 bin ich dann schon so müde, dass ich einfach nicht mehr weiter will und auch nur mehr sehr steif vor mich hin stolpere. Der nächste See direkt neben dem Weg ist noch etwa 2 km entfernt. Da steige ich kurzerhand zu einer kleineren Lacke in den Talgrund ab, schlage mein Zelt auf und verkrieche mich anschließend sofort im Schlafsack.

 

Sonntag, 13. Juli 2025

In der Nacht hat es geregnet. Und jetzt am Morgen ist heftiger Wind aufgekommen.

 

Heftiger Wind in der Früh ...

 

... und seltsame Wolken

 

Weiter geht's am Zaun entlang

 

13:45
Heute habe ich den ersten Menschen auf dem Nordkappveien getroffen – einen Deutschen, der Richtung Alta geht und auch seit 20 Jahren hier heroben in Alta lebt.

Und nun sitze ich in der Oksereinhytta am See 260 am Fuß des Várdánčohkka. Denn draußen regnet und windet es kräftig, und der Nebel kriecht wieder übers Land. Eigentlich wollte ich ja nach einer Kaffeejause weitergehen. Doch dann siegte das Bedürfnis nach einer trockenen und windfesten Unterkunft. Denn bei dem heftigen Wind heute früh hatte das Zelt ganz schön heftig geflattert, das Gestänge bog sich. Und beim Waschen am Bach musste ich aufpassen, dass mir nicht das Handtuch oder eines meiner Kleidungsstücke wegflog.

Die Hütte hier ist winzig, gerade mal Platz für ein Stockbett und einen kleinen Tisch samt Bankerl vor dem Fenster. Es gibt keinen Ofen, auch kein Plumpsklo. Kåre und Alf haben laut Aushang diese Hütte 1984 gebaut, um beim Jagen und Fischen einen Unterschlupf zu haben. Mittlerweile wird die Hütte dankbar von den Wanderern auf dem Nordkappveien als Quartier angenommen. Der Deutsche aus Alta hatte hier geschlafen, und auch Mandy, die ich morgen Abend treffen sollte, hatte die Hütte als Nachtquartier eingeplant. Ich hatte richtig Glück, dass ich an diesem Tag hier allein war und blieb.

 

Montag, 14. Juli 2025

Heute ist wieder ein herrlicher Tag! Bereits bei der Hütte schimmert die Sonne durch den Nebel. Und sie wird immer kräftiger und vertreibt nach und nach (fast) alle Wolken.

 

Oksreinhytta am nächsten Morgen

 

Der Abstieg zum Meer ist landschaftlich interessant. Die Kjerringvika linker Hand – eine liebliche Bucht, dahinter von meinem Standort aus nur erahnbar der Vesterbotn, der noch tiefer ins Land hinein führt.

Vor mir der markante Bealča, der oben einen kleinen Gupf auf der Gipfelrundung hat, wie Brust und Brustwarze. Und rechter Hand geht es hinunter durchs Tal der Bealččajohka, norw. Austerbotnelva (sam. johka = Fluss). Dieser Fluss hat eine sehr breite, tiefe Mündung, die offenbar von den Gezeiten geprägt ist. Als ich entlang des Flusslaufs an einem kleinen Wasserfall vorbei hinunterkomme, ist gerade Ebbe. Als ich aber entlang der Küste weiter in Richtung Langnesbukta gehe, sehe ich, wie hinter mir die Flutwellen in den Mündungsbereich eindringen.

 

Kobbfjorden mit Kjerringvika

 

Austerbotnelva

 

Zur Zeit herrscht Ebbe im Mündungsgebiet

 

Idyllischer Jausenplatz

 

Das Gehen ist heute nicht so toll. Der Fersensporn am linken Fuss macht mir seit gestern zu schaffen. Offenbar habe ich ihn bei dem langen Marsch von der Samenhütte an den Ráššajávri-Seen zum Nordkappveien, auf dem ich dann auch noch ein paar Kilometer ging, überfordert.

Dafür ist die Langnesbukta, in der ich schließlich mein Zelt aufgeschlagen habe, umso schöner. Ich mache noch einen – humpelnden – Spaziergang durch die Bucht. Sie hat einen schönen Sandstrand. Das gelbe Haus auf der Landzunge ist offenbar schon seit einiger Zeit nicht mehr bewohnt  und in einem schlechten Zustand. Schade. In der Mitte der Bucht sehe ich auch die Grundmauern eines zweiten Hauses, samt den Überresten eines Stadels daneben.

Und als ich wieder bei meinem Zelt bin, bekomme ich Besuch. Mandy aus Deutschland taucht auf und fragt, ob sie ihr Zelt direkt neben meines stellen darf. Sie ist erst am Anfang ihrer Tour, es ist die erste Nacht allein im Zelt. Und das ist ihr offenbar nicht ganz geheuer. Mandy erweist sich als angenehme Gesprächspartnerin und Nachbarin.

Ja, und dann am Abend gibt es noch ein großartiges Naturschauspiel. Zuerst sehe ich nur, dass sich draußen am Meer eine Nebelbank gebildet hat. Bald sehe ich auch die Nebelschwaden rechts übers Land kriechen und auf die Bucht zukommen. Links ist es eher eine Dunstschicht, die sich entlang der Küste landeinwärts schiebt. Nun ist auch die Sonne nur mehr durch eine Dunstschicht zu sehen, und schließlich verschwindet sie ganz. Das alles hat sicher nicht länger als 20 Minuten gedauert.

 

Dunstschicht über dem Meer in der Langnesbukta

 

Dienstag, 15. Juli 2025

Bis zu Mittag herrliches Wetter, dahinspaziert am Meer entlang und dann hinüber zum Lafjordelva. Als der einigermaßen steile Aufstieg zum Skuohtagáisá beginnt, zieht sich der Himmel immer mehr zu, und ich sehe die Regenschleier hinter mir näherkommen. Doch aus irgendeinem Grund verschonen sie mich.

 

Langnesbukta am nächsten Morgen

 

Veidneset

 

Da hinten geht's auf die Halbinsel Stiikonjárga

 

Teich mit Stiikogáisá im Hintergrund

 

Das gelbe Haus

 

Ich hatte in der Zwischenzeit mal kurz Empfang mit meinem Handy, um zu checken, wann der Bus von Kåfjord zu meinem nächsten Ziel, der Halbinsel Bringnes, fährt. Immerhin dreimal täglich.

An einem kleinen See schlage ich mein Zelt auf und denke mir, dass ich von hier aus morgen bequem den Mittagsbus erreichen werde.

 

Mittwoch, 16. Juli 2025

Gestern Abend habe ich mich um ca. 18:00 in den Schlafsack gekuschelt und wollte eigentlich noch lesen, bin dann aber gleich eingeschlafen. Heute bin ich dann um 1:00 Früh aufgewacht und konnte einen wunderschönen Sonnenaufgang über dem See beobachten. Und nachdem ich putzmunter bin, habe ich beschlossen zu versuchen, den 7:25 Morgenbus auf der anderen Seite des Fjells zu erreichen, der von Honningsvåg durch den Nordkaptunnel Richtung Süden fährt.

 

Sonnenaufgang am namenlosen See

 

Aufbruch kurz vor 4:00 Früh

 

Skuohtagáisá

 

Dieses Tal ging's runter zum Fisketindvatnet

 

Fisketinden mit gleichnamigem See

 

Um 3/4 4 bin ich dann startklar. Die Sonne scheint immer noch, aber es ist heftiger Wind aufgekommen. Er trifft mich seitlich von hinten und zerrt kräftig an meinem Rucksack, gibt mir aber auch Schub nach vorn. Als ich zum Fisketindvatnet komme, ziehen immer mehr Wolken auf.

Wieder einmal stellt sich heraus, dass die Landschaft in natura doch weitläufiger ist, als es auf der Karte aussieht. Und ich sehe, dass es mit der Zeit knapp zu werden droht. Also lege ich an Tempo zu, was meinem Fersensporn nicht gut tut.

Nach gut 3 1/2 Stunden erreiche ich tatsächlich die Straße, wo der Bus entlang fährt – 10 Minuten vor seiner Ankunft. Ich gebe ihm Zeichen, und er bleibt stehen. Das ist das Schöne in Norwegen, dass die Busse auf Verlangen auch außerplanmäßig halten. Der Chauffeur ist sehr freundlich, nimmt mir sofort den Rucksack ab und verstaut ihn im Gepäckraum. Erstaunlicherweise ist der Bus um diese frühe Zeit fast voll. Und ich bin dann auch die erste, die beim Smørfjordkrysset wieder aussteigt. Die anderen fahren wohl alle bis nach Alta oder jedenfalls weiter in den Süden.

Und nun bin ich also bei der Halbinsel Bringnes angelangt. Bringnes ist ziemlich groß. Vom "Hals" weg, der sie mit dem Festland verbindet, schiebt sie sich wie eine Riesendattel rund 8 km ins Meer hinaus. Das Festland bildet hier eine Einbuchtung, sodass man von der E69 aus gesehen die Küste von Bringnes sehr lange im Blick hat. Etwa 12 Busminuten lang.

Ich überquere die Brücke über den Smørfjordelva. Der Himmel ist wieder klar, und die Sonne brennt herunter. In den Nachrichten lese ich später, dass in ganz Norwegen eine ungewöhnliche Hitzewelle begonnen hat. Der Fersensporn tut nun nach meiner morgendlichen Gewalttour so richtig weh. Humpelnd bewege ich mich vorwärts, habe kaum noch Wasser in der Trinkflasche und überlege, wo ich mein Zelt aufschlagen soll.

Es gibt auch ein Camp auf Bringnes, das sich aber als Ansammlung von Großraumcampingbussen an einer unattraktiven Stelle entpuppt. Nein danke!

 

Mein Zeltplatz auf Bringnes

 

Ich steuere schließlich den Bach oberhalb von Nordeidet an, denn Wasser ist beim Zelten unerlässlich. Tatsächlich finde ich eine einigermaßen windgeschützte Stelle außerhalb der Sichtweite diverser Häuser und Camper. Dann marschiere ich los zum Uferweg auf der Südseite von Bringnes. Die Neugier treibt mich voran, obwohl meine linke Ferse protestiert. Mein Ziel sind der Opferstein und die Steinkreise auf dieser Halbinsel.

 

Die Kultstätten von Bringnes

Am Beginn des Pfades, der sich unterhalb der zerklüfteten und von groben Steinklötzen übersäten Südflanke der Halbinsel Bringnes dahinwindet, steht eine Hinweistafel. Bringnes beherberge alte Opferplätze, steht dort. Einer davon liege an der Spitze des Bringnesodden und bestehe aus drei Steinkreisen. Geopfert worden sei auch bei einem gut drei Meter hohen samischen Opferstein namens Čháppesbákti, und zwar vor allem Heilbuttköpfe.

 

Čháppesbákti Opferstein – hier sollen Heilbuttköpfe geopfert worden sein

 

Arvid Sveen ("Mytisk Landskap", s. 17) vermutet, dass der Čháppesbákti mit dem in alten Quellen erwähnten "Smeer-Vuodna-Noaaide, Smør-Fjordens Viismand oder Smørfjordens Noaide" identisch sein könnte, einem Opferstein, der sich an einem nicht näher definierten Ort im Smørfjordgebiet befinden soll. Immerhin habe die Halbinsel Bringnes früher Smørnes bzw. Smjørfjordnes geheißen.

Wie dem auch sei, erwähnenswert finde ich, dass der alte Name "Smørnes" oder "Smørfjordnes" m.E. einen interessanten Hinweis auf die Form der Opferrituale auf der Halbinsel enthalten könnte. Denn norweg. smøre bedeutet schmieren. Und genau das ist es, was man beim Opfern unter anderem macht. Sveen beschreibt, dass bei samischen Opfern die Tiere gewöhnlich gekocht wurden. Dann wurde alles Fleisch gegessen, bis auf die Knochen, die man am Opferplatz hinterließ. Der Opferstein selbst wurde oft mit Blut besprengt oder mit dem Fett des Tieres beschmiert.

 

Der zweite der beiden größeren Steinkreise auf Bringnes

 

Eine Art natürlicher Arena, die hinten von Felsen begrenzt ist

 

Von Menschen gepflasterte Pfade und Grundriss einer Behausung?

 

Zu den Steinkreisen im allgemeinen habe ich bereits oben im Zusammenhang mit der Svensvika auf Nordkinn einiges gesagt. Interessant finde ich den Ort, wo sich diese hier befinden. Zuerst betritt man eine Art natürlicher Arena, die auf der Bergseite halbkreisförmig von schroffen Steinwänden begrenzt und nach der Meeresseite hin offen ist. Mit Steinplatten ausgelegte Wege und Plätze könnten m.E. darauf hindeuten, dass es hier kultische Versammlungen gab. Und an diese Arena grenzt unmittelbar eine schüttere Gruppe mit Birken, zwischen denen sich die Steinkreise befinden. Zwei davon sind etwa sieben Meter im Durchmesser, wobei die Steinkreise aus penibel mit Schieferplatten aufgeschichteten, dicken Ringen bestehen. Der dritte Steinkreis ist kleiner, aber tiefer im Inneren. Dort befindet sich auch die bereits erwähnte Nische im unteren, inneren Teil der Steinmauer.

Auf www.kulturminnesok.no findet man übrigens neben einer Beschreibung der Kultstätte (auf Norwegisch) auch die GPS-Position der Steinkreise.

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Der Weg auf der Südseite von Bringnes führt etwas oberhalb der Strandlinie entlang. Nach kurzer Zeit wird die Landschaft richtig schroff und zerklüftet. Überall lugen die nackten Gesteinsschichten aus der Vegetation hervor. Riesige Felsklötze liegen durcheinandergewürfelt oder übereinandergetürmt herum. Genügsame Birken klammern sich an die Klötze und Hänge.

 

Der Pfad führt zunächst an der zerklüfteten Südflanke von Bringnes entlang

 

Und in dieser Steinwildnis soll ich also den Čháppesbákti Opferstein finden? Ich kenne nur die Beschreibung, dass er etwa 3 m hoch und beinahe viereckig sein soll. Und dass er sich auf einer Hangschräge Richtung Süden befindet. Hier irgendwo entlang des Weges.

Doch nach etwa 3 oder 3 1/2 Kilometern auf dem Küstenpfad sehe ich ihn plötzlich vor mir. Da ist kein Hinweisschild, nichts. Und doch gibt es keinen Zweifel. Das ist der Čháppesbákti! Von der Seite sieht er tatsächlich wie ein monumentaler Vierkantblock aus, von hinten jedoch eher wie ein Trapez. Und die dem Meer zugewandte Seite hat die Form eines Hauses mit Giebeldach. Genau wie beim Noaidestein in Snefjord haben auch hier alle möglichen Leute kleine "Gaben" in diversen Ritzen und Ausbuchtungen deponiert – Federn, kleine Muscheln, besondere Steine.

Ich schaue, ob ich Spuren von Heilbuttschädeln oder Fischgräten sehen kann, die hier früher laut Hinweistafel geopfert wurden. Kann aber keine finden.

 

Als dieser Stein vor mir auftaucht, ist sofort klar, das ist der Opferstein!

 

Selfie mit Čháppesbákti

 

Als ich weitermarschiere, stoße ich schon bald auf einen ersten Steinkreis, der aber meines Wissens nirgendwo verzeichnet ist. Er besteht aus hochkant aufgestellten Steinplatten, die aber von langstieligen Gräsern, Brennesseln etc. so überwuchtert sind, dass er leicht zu übersehen ist.

Der raue Charakter der Landschaft wird nun sanfter. Die Berghänge weichen zurück und geben entlang der Küste einen breiten, mit Gras und Heidelbeerstauden bewachsenen Streifen frei. Bringnes zeigt sich hier von seiner lieblichen Seite. Und offenbar haben hier früher Menschen gelebt. Da sind fein säuberlich aufgestapelte Steinzäune zu sehen. Und auch die zum Teil beinahe rechteckig geformten Steinfelder mitten im Grün zeugen meiner laienhaften Interpretation nach davon, dass hier einst Behausungen gestanden haben.

 

Der alte Opferstein markiert den Zugang zum lieblicheren Teil von Bringnes

 

Ich stoße auf einen Steinkreis, der von Gras überwuchert ist

 

Steinmauern zeugen hier von alter Besiedlung

 

Windschiefe Birke

 

Interessant finde ich auch, dass ich hier auf der ganzen Strecke bis hin zum Leuchtturm (siehe Karte) die markante Silhouette des Čháppesbákti hnter mir sehen kann. Auf mich wirkt er wie ein Wächter, der einst den Zugang zu diesem Teil der Halbinsel beschützen sollte.

Etwas Ähnliches habe ich schon vor Jahren auf dem östlichen Küstenweg entlang des Strømmen bei Kongsfjord auf der Varangerhalbinsel erlebt. Dort stand ich plötzlich vor einem großen Steinmann, der ganz oben einen kopfgroßen Kristallstein trug. Kurz darauf kam ich zu einer Samenbehausung, die zwar schon moderne Glasfenster hatte, ansonsten aber ganz im traditionellen Stil gebaut war.

Beim Leuchtturm endet dann der ausgetretene Pfad, und auch die Bringnes Perletur. Mit dem Perletur-System (www.perletur.no) sollen die Bewohner:innen der Finnmark dazu gebracht werden, mehr Bewegung im Freien zu machen. Überall in der Finnmark finden sich kleinere oder größere Perle-Touren, für die die Sportbegeisterten Punkte erhalten.

Ich lasse die Perletur-Box mit dem Stempel links liegen und gehe auf schmalen Pfaden weiter. Die Neugier ist immer noch stärker als mein schmerzender Fuß. Es geht weiter über Wiesenmatten und durch anmutige Birkenwäldchen, bis ich schließlich einen Pfad entdecke, der auf eine tiefer gelegene Landschaftsstufe in Strandnähe führt. Ich folge ihm, und tatsächlich, da sind sie, die Steinkreise. Zwei größere und ein kleiner mit Höhle, genauso wie in der Beschreibung.

Die Steinkreise laden nicht zum Betreten ein. Ein Eingang ist nicht vorgesehen, man hätte über das Mäuerchen klettern müssen. Ich denke mir, dass die Menschen vielleicht einfach um diese Steinkreise herum standen, Rituale abhielten und vielleicht auch etwas in ihnen opferten.

Der Kreis gilt ja in alten Kulturen als Symbol der Vollkommenheit – eine in sich geschlossene Welt, in deren Mitte sich das Numinose, die Leerheit, das Göttliche befand.

In der islamischen Kalligraphie zum Beispiel, erklärte mir eine befreundete Künstlerin einmal, muss die Mitte eines Ornaments oder Mandalas immer leer bleiben. Die Mitte gehört dem Göttlichen, Allah, der ja im Islam nicht bildlich dargestellt werden darf.

Wie auch immer, ich freue mich, dass ich all das gefunden habe, was mich nach Bringnes gezogen hat, und mache mich auf den Rückweg.

 

Donnerstag, 17. Juli 2025

So, jetzt ist es entschieden. Ich werde heute einen Rasttag einlegen und nicht zum Gipfel der Bringneshalbinsel hinaufgehen. Und gleich morgen nach Lakselv fahren. Der Ausflug zu den Steintrollen im Trollholmsund ist auch gestrichen. Denn mein Fersensporn tut mittlerweise so weh, dass ich bei jedem unpräzise gesetzten Schritt im Gelände laut aufjaulen könnte. Ich humple wie eine gehbehinderte alte Dame durch die Gegend. Außerdem bin ich stark verkühlt. Und Freitag ist die letzte Gelgenheit vor dem Wochenende, mit dem Bus vom Smørfjordkrysset zum Olderfjord Bussterminal zu fahren, wo ich Anschluss nach Lakselv habe.

 

Freitag, 19. Juli 2025

Gerade hatte ich angefangen, das öffentliche Transportsystem in der Finnmark so richtig zu schätzen. Doch dann passierte DAS ...

Ich humpelte also mit meinem Rucksack in der sengenden Hitze die paar Kilometer bis zur Bushaltestelle am Smørfjordkrysset und wartete dort auf den Bus. Er kam auch pünktlich, ich gab Zeichen, aber er blieb nicht stehen! Ich war fassungslos. Und sauer. Denn der nächste Bus fuhr erst einige Stunden später am Abend.

Also beschloss ich autozustoppen. Und tatsächlich, das erste Auto blieb gleich stehen. Ein Schwede, der mit seinem Kleinbus gerade vom Nordkap kam. Er brachte mich zum Olderfjord Bussterminal, wo ich noch rechtzeitig den Anschlussbus nach Lakselv erreichte. Doch das ist noch nicht das Ende der Hilfsbereitschaft, die ich an diesem Tag erfuhr. Denn als ich mich in Lakselv auf die Suche nach einem Taxi machen wollte, das mich zum etwas außerhalb gelegenen Fjordutsikten Camping bringen sollte, blieb plötzlich eine Frau mit ihrem Auto neben mir stehen und fragte mich, ob ich Probleme mit meinem Fuß hätte. Ja, sagte ich. Da bot sie mir an, mich zu meinem Quartier zu bringen.

 

Montag, 21. Juli 2025

War heute noch stöbern in der Buchhandlung in Lakselv. Es gab ein paar interessante Wälzer über die Zeit während der Naziherrschaft hier oben im Norden. Aber alles viel zu schwer zum Mitnehmen.

Schließlich habe ich mich für zwei dünne Büchlein entschieden – eines über die Vogelwelt am Porsangerfjord. Und das andere ist eine Sammlung von neun Proträts gestandener Finnmarkbewohner:innen verschiedener Altersstufen und Nationalitäten und Geschlechter. Ja, auch ein bekennender Trans ist dabei. Hut ab vor dem Outing in einer so kleinen Dorfgemeinschaft!

Beim Lesen wird mir bewusst, dass es hier heroben neben Menschen mit ethnisch norwegischen und samischen Wurzeln auch viele Kvenen gibt, also finnisch sprechende Menschen, deren Vorfahren irgendwann aus der Gegend des Bottnischen Meerbusens eingewandert sind. Vor allem im Børselv-Gebiet leben einige von ihnen. Aber auch ein russischer Tänzer, der in Kirkenes nahe der russischen Grenze lebt, hat Eingang in diese Sammlung gefunden. Und ein afghanischer Flüchtling, der als unbegleiteter Minderjähriger gekommen ist und mittlerweise die norwegische Staatsbürgerschaft erlangt hat.

Bei einigen der Porträtierten ist eine große Begeisterung für die gewaltige Natur hier heroben zu spüren. Auch eine gewisse Sehnsucht nach Einsamkeit und der Vertrautheit einer kleinen Gemeinschaft. Dazwischen aber immer wieder das Bewusstsein, dass zunehmend mehr Menschen in die größeren Ballungsräume abwandern. Meist sind es die Jungen, die gehen. Das magere Arbeitsplatzangebot hier heroben reicht entweder nicht oder ist zu einseitig. Immerhin lebt hier fast alles direkt oder indirekt von der Fischerei.

Besonders Frauen sind vom Arbeitsplatzangebot benachteiligt, auch wegen gewisser Vorurteile, die im ländlichen Raum besonders hinderlich sind. So erzählt etwa Astrid Helene Johnsen aus Berlevåg, dass sie gerne professionelle Fischerin geworden wäre. Es dann aber sein hat lassen, wissend, dass ihr als Frau kaum jemand Erfolg in diesem Metier zugetraut hätte. Sie machte dann eine Ausbildung in Kinder- und Jugendarbeit.

Mich erinnert das an einen Silvesterabend vor rund 20 Jahren. Ich war damals gemeinsam mit meinen Freund:innen Daniela und Dieter zum Feiern in einen Berlevåger Fischerhaushalt eingeladen worden. Im Lauf des Abends schlug die Dame des Hauses vor, ihr Mann solle mir doch seinen "Arbeitsplatz" am Fischerboot zeigen. Doch er wollte nicht. "Frauen bringen Unglück beim Fischen", meinte er lapidar.

 

Ausblick vom Fjordutsikten Camping, wo ich ein Zimmer gemietet habe