Noaide ist die Bezeichnung für samische Schamanen. Und im Varanger-Nationalpark im äußersten Norden Norwegens gibt es einen Berg, der nach eben diesen Schamanen benannt ist: Noiddiidčearru. Und ein Bach, der dort entspringt, heißt Noaidejohka. Die ganze Gegend dort ist von Relikten der alten samischen Kultur übersät, als die Rentiere noch wild waren und die Menschen ihnen mit Pfeil und Bogen nachstellten. Dieser besondere Berg, der auf Norwegisch den Namen "Kjøpmannskjølen" trägt (also "Kaufmannskiel"), war das Hauptziel meiner Wanderung im Sommer 2023.
Dienstag, 18. Juli 2023
Die Reise verlief gut. Es klappte eigentlich alles. In Oslo musste ich zwar etwas beharrlich sein, bis mir die Flughafenmitarbeiterin das Gepäck doch noch bis Vardø durchcheckte. Das wäre nicht mehr möglich, sagte sie zunächst, weil sich SAS und Widerøe getrennt hätten und ich ja zwei verschiedene Tickets hätte (das ging nicht anders, weil meine Reise in Vardø begann und in Berlevåg endete).
In Vardø stellte sich dann heraus, dass es den Shuttlebus ins Zentrum, der auf der Website des Flughafens angekündigt ist, doch nicht gab. Aber ein freundliches Ehepaar bot mir an, mich mitzunehmen. Vom Festland auf die Insel, wo sich das Zentrum befindet, muss man nämlich durch einen Tunnel unter dem Meer durchfahren.
Sie brachten mich direkt zu meinem Quartier, Wilhelmsens Romutleie. Und dort hatte ich zunächst keine Ahnung, wie ich zu meinem Zimmerschlüssel kommen sollte. Ich dachte zunächst, dass von den vier Schlüsselboxen an der Hauswand die mit der Nr. 3 meine wäre, weil ich ja Zimmer Nr. 3 hatte. Aber weit gefehlt. Es war auch nicht der PIN-Code auf meiner Buchungsbestätigung, den ich dort eingeben sollte, sondern eine andere Nummer, die bei allen Schlüsselboxen gleich ist. Hier half mir ein anderes norwegisches Ehepaar, das auch hier wohnte.
Das ganze Haus hier und das Zimmer sind grenzwertig. Eher desolat. Ich vermute, die freundlichen Asiatinnen in der Küche dürfen hier wohnen, weil sie die Räumlichkeiten putzen. Die sagten nämlich, sie hätten mit den Schlüsseln nix zu tun. Das Putzen funktioniert offenbar so lala. Aber die Fensterscheiben in meinem Zimmer sind so dreckig wie ein ungeputztes Stallfenster. Und im Bett lege ich mich lieber in meinen Innenschlafsack, als der Frische des Bettzeugs zu vertrauen.
Klar sind 52 Euro für hier heroben eher billig. Aber wenn ich dran denke, dass Stefanie und ich im Vorjahr in Oslo auch nur 50 Euro fürs Hotel gezahlt haben, und das in bester Lage und für ein tiptop sauberes Zimmer mit Dusche und Clo, dann ist das hier eigentlich eine Zumutung. Naja, ich bleibe ja nur für eine Nacht.
Mittwoch, 19. Juli 2023
Was für ein ereignisreicher Tag!
Ich beginne mit Vardø. Zu Hause hatte ich bereits alles vorgeplant, am Stadtplan eine Post gesucht, um meine Reisetasche an Daniela und Dieter in Berlevåg zu schicken, wo ich sie vor dem Heimflug wieder abholen würde. Und eine Tankstelle, um dort eine Gaskartusche für meinen Kocher zu kaufen.
Das Geschäft, in dem die Poststelle sein sollte, entpuppte sich als ein Gemischtwarenladen à la Ottar Neergård (Anm. ein wunderbar altmodisches Geschäft in Berlevåg, das leider vor kurzem schließen musste), ein bissel größer vielleicht. Der Chef dort war richtig nett und hilfsbereit. Die Poststelle hatten sie vor kurzem aufgegeben. Die ist jetzt im Rema-Markt. Dafür hatten sie dort eine Gaskartusche, was gut war, weil die Tankstellenboutique geschlossen hatte.
Morgennebel in Vardø
Hallo Möwe!
Die Häuser wirken hier etwas trist
Unterwegs hatte ich festgestellt, dass das Sportgeschäft ein paar Real-Turmat-Packungen hatte. Dies als Info für künftige Reisen, denn diesmal hatte ich das gesamte Essen für die kommenden zwölf Tage (Turmat, Müsli, Riegel) importiert. Und ich schaute bei der Festung vorbei. Sie war wirklich imposant. Und ich sah auch Soldaten, die offenbar dort stationiert waren. Das Pomormuseum hätte mich auch interessiert. Aber da hätte ich leider bis zwölf Uhr warten müssen.
Außenwall der Festung
Und hier ist der Ausguck
Ich rief dann die Taxizentrale an und bestellte ein Taxi für halb zwölf, das mich zum Startpunkt meiner Wanderung im Sandfjorden bringen sollte. Vorher ging ich noch auf die andere Seite der Insel zum Rema-Großmarkt, um dort mein Packerl aufzugeben.
Ich weiß nicht, ob es das nebelige Wetter war. Aber Vardø sah irgendwie trist aus. Viele Häuser waren desolat, heruntergekommen. Ich dachte schon, vielleicht fehlt denen in Vardø der Fischreichtum, den Berlevåg und Båtsfjord haben. Doch der Taxler belehrte mich eines anderen. Sie haben hier viel Fisch, und vier Fischfabriken zur Verarbeitung. Sie haben auch zwei Taxis und 1900 Einwohner. Also mehr als Berlevåg.
Mir fiel ein, dass Vardø vor einigen Jahren geglaubt hatte, mit Flüchtlingen Geld verdienen zu können, weil der Staat für jeden aufgenommenen Flüchtling eine bedeutende Summe zahlte. Sie vergaßen aber, die Flüchtlinge auch zu integrieren. Und das führte dann zu Problemen.
Mit Hilfe des netten alten Herrn von gestern verstaute ich dann den Zimmerschlüssel wieder in der Schlüsselbox. Und schickte eine sms an den Hausherrn, wie ich denn nun mein Zimmer zahlen sollte. Er schrieb zurück, er sei heute auswärts und ich solle ihm das Geld auf sein Konto überweisen.
Schotterstraße vom Sandfjorden Richtung Syltevikmoan
Und dann stand ich also im Sandfjorden und schulterte meinen Rucksack. Er dürfte um die 20 kg gehabt haben. Und ich merkte, dass er eigentlich zu schwer war für mich. Dieser Nerv, der sich von der Hüfte hinunter ins rechte Bein zieht, war wieder beleidigt. Und ich musste den Hüftgurt lockern und die zwei Tragriemen an der Brust zusammenziehen. Da ging's dann.
Es fing dann auch noch zu nieseln an. Anfangs ignorierte ich das, weil es sich irgendwie erfrischend anfühlte und ich außerdem dem Wetterbericht vertraute, der zuletzt für heute sowohl Nebel als auch Regen wieder gestrichen hatte. Zu Unrecht. Denn die Wolken hingen ganz tief. Und der Nieselregen war zwar fein, aber beharrlich. Und er ging letztlich sogar ein bissel durch den Anorak durch. Auch die Regenhose war nicht ganz wasserdicht. Letztlich gibt es glaube ich – außer vielleicht Ölzeug – keine wirklich dauerhaft wasserdichte Wanderbekleidung.
Allerdings war ich heute auch sehr lange unterwegs, zum Teil in hohem, nassem Gras und in sumpfigen Gebieten. Als ich zur Sylteviksmoan kam, wo der Sandfjordelva einen Bogen macht und der Weg zur Syltevika abzweigt, stellte ich zunächst mein Zelt auf. Dann wanderte ich nur mit dem kleinen Tagesrucksack Richtung Meer. Eigentlich war es leichtsinnig, dass ich außer einer Karte und der Regenhose, die ich dann anzog, nichts dabei hatte. Kein Verbandszeug, falls was passierte, keine Jause, keine Wasserflasche, kein GPS-Gerät, obwohl der Nebel immer noch da war und der ausgetretene Pfad streckenweise nicht mehr zu sehen war.
Doch die Gegend war wunderschön, trotz Regen. Zunächst kam ich bei dem samischen Steinkreis vorbei, der einer der Gründe war, warum ich die Syltevika in mein Programm aufgenommen hatte. Er liegt sehr schön, auf einer Geländestufe, von der aus man einen weiten Blick auf das Syltevikvatn und den Munken hat. Ich betrat ihn und legte eine stille Gedenkminute ein für die Samen und ihre Kultur. Und für die wunderschöne Gegend hier.
Ich ging dann am See entlang. Genoss den würzigen Geruch nach Erde und frischen Kräutern, das Piepen der Goldregenpfeifer, das Gurgeln und Rauschen des Wassers. Eine Rentierherde begegnete mir, angeführt von zwei äußerst stattlichen Böcken. Schließlich sah ich linker Hand in einem kleinen Seitental eine Hütte des lokalen Fischer- und Jägerverbandes. Sie hieß Garbua und lag im Tal der Garjohka, wie ich zu Hause anhand der Karte feststellte. Ein liebliches, grünes Tal. Und über den Bach gab's sogar eine kleine Brücke.
Garbua
Weiter Richtung Meer
Schließlich erreichte ich das Meer, bei der Indre Syltevika. Dort steht die Bruvollstua, die heute der DNT (=der norwegische Touristenverband) übernommen hat. Sie steht dicht an einen Felsen geschmiegt, an den sie sich richtiggehend anlehnt. Hier hat während des 2. Weltkrieges ein Ehepaar gelebt, Andreas und Alfhild Bruvoll, das sehr offen und gastfreundlich zu den Partisanen war, die sich am Fuß des Munken hinter einer Klippe eine Notunterkunft gebaut hatten. Untertags beobachteten die Widerstandskämpfer vom Gipfel des Munken aus die deutschen Kriegsschiffe, die draußen am Meer vorbeifuhren. Und wenn es kalt war, suchten sie immer wieder auch Unterschlupf bei den beiden Alten in der Hütte. Bald zeichnete sich ein deutlich sichtbarer Pfad in der empfindlichen Vegetation ab. Und durch diesen Pfad entdeckten die Deutschen 1943 schließlich auch das Versteck der Partisanen.
Bruvollstua in der Indre Syltevik
Überreste der alten Partisanenbehausung
Der verräterische Pfad
Tatsächlich fand ich sowohl diesen Pfad als auch die Überreste der Partisanenbehausung, die aus Steinen, Holzplanken und Torfziegeln bestanden hatte. Glücklicherweise hatten sowohl die Partisanen als auch ihre Helfer in der Bruvollstua rechtzeitig davon erfahren, dass ihnen die Deutschen auf der Spur waren. Harald G. Sunde berichtet in seinem Buch "I partisanenes fotspor" (erhältlich im Narvesenshop am Flughafen in Kirkenes), dass die drei Partisanen Oskar Johnsen aus Kiberg, Kåre Figenschou aus Jakobsnes und Kåre Øien aus Tsypnavolok in der Nacht zum 14. Juli 2023 zu Fuß nach Persfjord flüchteten und sich der dortigen Partisanengruppe anschlossen. Das Ehepaar Bruvoll verbarg sich zunächst in den Bergen rund um das Syltevikvatnet, bis sie dort eines Tages Freunde aus Båtsfjord trafen, die ihnen anboten, in ihrer Scheune in Båtsfjord zu überwintern.
Nach diesem Abstecher in die Geschichte ging ich dann am Strand entlang weiter und umrundete quasi den Munken. Dabei stellte ich fest, dass die Klippen an der Küste zum Teil schwer passierbar waren und der schmale Pfad zum Teil höher hinauf ins Gelände führte. Ich war froh, dass ich meine Wanderung nicht von Hamningberg aus gestartet hatte. Denn ich bin mir nicht sicher, ob ich am Meer entlang zwischen Hamningberg und Ytre Syltevika überall durchgekommen wäre. Auf der Karte sieht das immer so einfach aus, aber tatsächlich zeigt sich das Gelände dann oft anders, als man vermutet.
Ytre Syltevik
Dann wanderte ich auf der anderen Seite des Syltevikvatn zurück. Zunächst zu der kleinen Hütte in der Sylteviksmoan, neben der zwei Wohnwägen standen, und auch ein sauber gepflegtes Plumpsklo. Und dann zu meinem Zelt. Ich war schon müde. Aber okay.
Und nun liege ich also in meinem kleinen Zelt. Der Wind zerrt an der Plane. Und ich fürchte mich vor dem Augenblick, wo ich hinaus aufs Klo muss. Das Essen, Chicken Tikka Masala, war wieder köstlich. Weniger gut finde ich, dass mein ganzes Gewand feucht bis nass ist. Nicht überall, aber doch so, dass ich nicht weiß, wohin mit all den feuchten Stücken.
Donnerstag, 20. Juli 2023
Gestern Abend hätte ich mir nicht vorstellen können, hier noch eine weitere Nacht zu bleiben. All die Nässe, die Kälte (7 bis 9 Grad) ... Aber ich hab dann tief und lang geschlafen, ungefähr zehn Stunden. Und nach einem morgendlichen Bad im Bach marschierte ich wieder Richtung Sylteviksvatn. Das nasse Zeug zog ich wieder an – so trocknet es am besten, denn beim Gehen wird man warm. Und der Wind tut sein Übriges dazu.
Das Wetter war heute sehr okay. Zwischendurch immer wieder kleine Schauer, die aber meistens an mir vorbeizogen und mich höchstens streiften. Und dann wieder schimmerte die Sonne durch die Wolkendecke.
Steinkreis mit Sylteviksvatn
Überreste einer Steinzeitsiedlung
Ich begann wieder mit dem Steinkreis und fand dann unterhalb davon auf halbem Weg zum See die Überreste einer Steinzeitsiedlung. Dann ging ich auf der rechten Seite des Sees weiter und hinauf zum Kristenvatn auf 154 m Seehöhe. Dort fand ich allerdings nicht das erhoffte Grab, das hier auf der Karte von www.kulturminne.no eingezeichnet war, sondern eine bogastelle (kleines, halbrundes Steinmäuerchen, hinter dem sich die Bogenschützen früher bei der Jagd auf wilde Rentiere verbargen).
Von hier geht's rauf zum Kristenvatnet
Aufstieg auf den Munken
Blick vom Munken auf die Bruvollstua in der Indre Syltevik
Nach einer Rast bei einem kleinen Teich, den die Rentiere zum Trinken genutzt hatten, wie die Fußspuren zeigten, bestieg ich dann den 180 m hohen Munken. Vom Gipfel aus sah ich direkt auf die Bruvollstua in der Indre Syltevika hinunter. Und beim Abstieg entdeckte ich unverhofft zwei dicht nebeneinander liegende Samenrelikte. Vielleicht wurden dort früher Nahrungsmittel gelagert. Vielleicht handelte es sich aber auch um fangstgroper (=Fanggruben), die oben mit Reisig o.ä. abgedeckt wurden, sodass die Rentiere nicht sahen, dass sich da eine Grube drunter verbarg. Unten am See ging ich dann am Fuß des Munken entlang. Drei stattliche Rentierböcke beobachteten mich interessiert, stuften mich aber offenbar als nicht gefährlich ein, weil sich der Anführer gleich wieder gemütlich ins Gras legte.
Samenrelikt
Rentierböcke am Syltevikvatnet
Als ich dann entlang des Abflusses aus dem Syltevikvatn ging, entdeckte ich eine Schwanenfamilie zwischen den grünen Wassergrashalmen. Die wachsen dort wie Schilf. Und da ergab sich ein lustiges Bild. Die Grashalme verdeckten den unteren Körper der Schwäne, sodass man nur noch die Köpfe und Hälse aus den Halmen hervorlugen sah. Rechts und links zwei lange, weiße Hälse, und in der Mitte fünf kurze, hellgraue Hälse. Das waren die Kinder.
Ich besuchte dann nochmals die Indre Syltevika mit der Bruvollstua und der Partisanenbehausung. Und so wie gestern wunderte ich mich, dass der Weg zwischen dem Abfluss des Sylteviksvatn und der Indre Syltevika in mühevoller Handarbeit zu einem respektablen Karrenweg ausgebaut war. Warum gerade hier? Ich dachte dann, vielleicht ist der Grund der, dass sie direkt neben der Hütte keinen richtigen Bootslandeplatz hatten und deshalb ihr Boot in der Nachbarbucht liegen hatten. Wenn sie da täglich mehrmals hin- und hergingen, machte es schon Sinn, den Weg auszubauen.
Gepflegter Weg von der Nachbarbucht zur Bruvollstua
Bei der Garbua machte ich wieder einen Abstecher, hauptsächlich um das sehr saubere Plumpsklo dort zu besuchen. Am Weg zurück begleiteten mich die Goldregenpfeifer eifrig mit ihren leicht melancholischen Lockrufen. Als ich beim Zelt ankam, freute ich mich dann schon sehr auf die Abendmahlzeit.
Freitag, 21. Juli 2023 / 5:20
Gestern Abend bin ich ganz bald eingeschlafen, so müde war ich (ca. 19:00). Gegen Mitternacht bin ich wieder aufgewacht. Ich hatte Hunger und genehmigte mir einen Extra-Riegel. Und die Ellbogen taten weh vom Aufstützen, weil das Zelt so niedrig ist und ich im Liegen gegessen hatte. An solchen Anzeichen merke ich, dass ich halt doch nicht mehr die Jüngste bin. Aber jetzt in der Früh ist es wieder gut.
Um 04:00 war ich dann endgültig wach. Ich hatte ja auch insgesamt 8 Stunden geschlafen. Mittlerweile habe ich auch schon gefrühstückt. Es ist erstaunlich, um wieviel wohler man sich gleich fühlt, wenn man einen warmen Kaffee und ein warmes Müsli im Magen hat. Jetzt fehlt nur noch das erfrischende Morgenbad im Bach zum Wohlbefinden. Leider nieselt es draußen wieder, d.h. das Zelt wird noch schön nass, bevor ich es einpacken kann.
Ich freue mich schon auf die Telegrafhytta. Dort kann ich in Ruhe Wäsche waschen und alles trocknen. Hoffe ich jedenfalls. Und ich kann richtig sitzen beim Essen oder auch beim Lesen ...
16:00:
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Telebu:
Vips nr. 525521/Kontonr. 49402006772
Vardø Sportsfisker og Jegerforening
hytteansvarlig Jørn G. Tel. 99383280 eller Thorbjørn J. Tel. 95272062
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Der Weg vom Syltevikvatn zur Telebua, wie die Telegrafhytta jetzt heißt, war wunderschön. Die Mächtigkeit der Landschaft war hier noch viel intensiver zu spüren als rund um das Syltevikvatn und entlang der Meeresküste. Steinübersäte Urzeitbuckel, die steil vom Flussufer aufragten. Dazwischen , tief eingeschnittene, unwegsame Talfurchen. Und dann weitete sich das Flusstal des Sandfjordelva wieder zu einer lieblichen, grünen Flusslandschaft. Breite, mit dichtem und hohem Gras bewachsene Flächen, zwischen denen die Arme des Flusses mäanderten. Von wegen Mäander – genau das macht es so schwierig, in einem naturbelassenen Flusstal ohne Brücken zu wandern, weil der Fluss mal zur einen Seite mäandert, mal zur anderen. Und so immer wieder Stellen entstehen, die nur mühsam zu passieren sind. Vor allem dann, wenn das Ufer steil zum Wasser hin abfällt.
Da war eine Stelle, die mir schon auf der Karte Sorgen bereitet hatte, und die sich dann auch als recht ungemütlich herausstellte. Denn dort war das Ufer oberhalb der Flussbiegung wirklich steil, im unteren Bereich sogar felsig.
Als ich mich dieser Stelle näherte, sah ich plötzlich einen Mann und eine Frau ganz unten am Wasser entlang kraxeln. Offenbar gab es dort einen schmalen Saum an Steinen, zum Teil mit Gras dazwischen, der begehbar war. Aber an einer Stelle, sagten die beiden, müsse man in den Fels greifen und richtig klettern. Ich unterhielt mich dann mit ihnen. Sie waren Einheimische und sehr nett. Sie seien vom Komagdalen herübergekommen, sagten sie. Und würden nun zum Sandfjorden gehen, "zurück in die Zivilisation".
Ich entschloss mich dann aber, doch oben zu gehen und einem der schmalen Rentierpfade am Steilhang zu folgen. Unter mir ging es tief hinunter. Wenn ich da ausrutschte, war's das vermutlich. Das unangenehmste Stück war jenes, das durch einen Erdabbruch führte, wo der Untergrund locker war und die Füße wenig Halt fanden. Und ja, mir war mulmig zumute.
Links die unangenehme Steilpassage am Hang
Telebua
Auf der Hütte traf ich dann ein finnisches Pärchen, das mich an Daniela & Dieter (meine Freunde aus Berlevåg) erinnerte. Sie waren aber bereits kurz vor dem Aufbruch, wollten nur noch rasch ihre Angeln in den Fluss halten und dann weiterziehen. Auch sie hatten Respekt vor dem oben beschriebenen Steilstück und sagten, sie würden beim Rückweg weiter oben am Hang gehen, wo es nicht ganz so steil ist.
Und nun habe ich die Hütte also für mich allein, jedenfalls bis jetzt. Denn hier muss man ja durchaus mit weiteren Gästen rechnen. Dieser Teil des Nationalparks ist bevölkerter als der drübere Teil, wo ich voriges Jahr war. Vermutlich liegt es daran, dass hier der Zugang zum Nationalpark über die kleine Schotterstraße vom Sandfjorden zur Sylteviksmoan viel einfacher ist als etwa vom Stjernevannet aus, wo man ohne Zelt kaum auskommt.
Das Wetter war heute wieder sehr wechselhaft. Manchmal kam allerdings wirklich für kurze Zeit die Sonne hervor – so richtig, nicht nur ein Durchschimmern wie gestern. Und im Spiegel in der Hütte sah ich, dass ich sogar ein bissel rot geworden war im Gesicht. Denn an die Sonnencreme hatte ich heute Früh wirklich nicht gedacht, nachdem ich das Zelt bei Nieselregen einpacken musste. Apropos, jetzt, wo ich allein bin, kann ich auch mein Zelt zum Trocknen aufhängen.
Draußen ist es gerade wieder regnerisch, windig und kalt. Und ich genieße es, hier in der warmen Hütte zu sitzen. Ich selbst wäre vermutlich nicht auf die Idee gekommen einzuheizen. Weil ja Sommer ist. Aber die Finnen haben fleißig eingeheizt. Und es ist wirklich viel Holz da. So kann ich wenigstens auch meine Schuhe trocknen.
Gerade hat ein kleiner grauer Vogel beim Fenster hereingeschaut, nur einen halben Meter von mir entfernt. Und ich lese in einem Heft über Geschichten zu verschiedenen Orten hier heroben – sehr spannend.
Also:
> Es kann sein, dass ich das Grab unterhalb des Kristenvatnet einfach nicht gefunden habe, weil diese Gräber Steinhügel sind. Und menschlich errichtete Steinhügel inmitten von natürlichen Steinfeldern zu erkennen, da fehlt mir leider der Kennerblick.
> Vardø, und hier speziell Steilneset, wo jetzt das Hexenmuseum steht, war bekannt für seine vielen Hexenprozesse. Zwischen 1593 und 1692 wurden dort ca. 140 Hexenprozesse geführt, hauptsächlich gegen Frauen. Die Männer, die verfolgt wurden, waren in der Regel Samen. Bei den Frauen waren es entweder sehr selbständige, selbstbewusste Frauen, oder Zugereiste, die kein Netzwerk hier zur Verteidigung hatten. Speziell auf dem Domen, einem Berg südlich von Vardø, sollen die Hexen seinerzeit ihr Unwesen getrieben haben, heißt es. Dort soll auch ein Tor zur Hölle liegen.
> Der Steinkreis beim Sylteviksvatnet war ein Opferplatz, vermutlich in Zusammenhang mit dem Fang von wilden Rentieren. Östlich des Steinkreises befinden sich auch Fangvorrichtungen für wilde Rentiere in Form von sogenannten bogasteller – also jene kleinen Mäuerchen, hinter denen sich die Bogenschützen auf die Lauer legten. Oft führten auch "ledegjerder" (Leitzäune aus Steinen) direkt zu diesen Verstecken, an denen die Rentiere entlang liefen.
Und dieser Steinkreis, den ich besucht hatte, ist beileibe nicht der einzige hier in der Gegend. In diesem Heft sind gleich mehrere beschrieben. Auch Steinkreise, die rund um spezielle Opfersteine angelegt sind. Viele dieser Stellen liegen entlang der Küste zwischen Varangerbotn und Hamningberg.
> Interessant fand ich auch, dass Hamningberg nicht nur bereits vor 5000 Jahren besiedelt war. Der Ort erreichte eine Blütezeit durch den Pomorhandel, der um 1720 einsetzte. Damals begannen Russen (die Pomoren) einen regen Handel mit den Norwegern. Die Russen tauschten Holz, Mehl, Korn und Grieß gegen norwegischen Fisch. Um 1900 lebten 250 Menschen dauerhaft in Hamningberg, das damals eines der größten Fischerdörfer in der Ostfinnmark war. In der Hochsaison konnte die Einwohnerzahl bis auf 1200 Menschen anwachsen. Besonders ist auch, dass der Ort von der "mordbrenna" der Deutschen im 2. Weltkrieg verschont blieb, weil die Deutschen dort von den Russen überrumpelt wurden und fliehen mussten.
> Besonders schön finde ich auch die liebeskranke Jungfrau, einen ganz speziellen Stein am Meeresufer, der wirklich wie eine liegende Jungfrau aussieht, und der sich zwischen Mortensnes und Vestre Jakobselv befindet. Bei der Klubbnase, wie es im Text heißt. Bei den Orten sind jeweils auch die GPS-Koordinaten angegeben. Diejenigen dieses Steins sind 70.116031 N, 29.187744 O.
Ich habe mir dieses wunderbare Heft, aus dem ich hier zitiert habe, abfotografiert.
Noch etwas: Hier heroben gab's zumindest früher auch Wölfe und Bären. Sogar ein Eisbär ist einmal auf einer Scholle hier gelandet.
Und an der Hüttenwand habe ich alte Fotos von einer "Seilbahn" über den Sandfjordelva entdeckt, die vom Sommer 1926 stammen. Im Prinzip war das eine Kiste, die auf beiden Seiten an über den Fluss gespannten Seilen hing. Nähere Details sind auf den Fotos leider nicht zu erkennen.
Samstag, 22. Juli 2023 / 16:00
Ich sitze wieder in der Hütte nach meinem Tagesausflug. Im Ofen brennt das Feuer, das Chili con Carne wird bald essbereit sein.
In der Früh bin ich mit dem Feuermachen beim ersten Versuch gescheitert. Und ich nahm das als Fingerzeig, dass ich eigentlich gar keine Ofenwärme brauchte. Denn die Geschichte der Edel Kristine Zahl, die 1977 im Winter mit ihren Schiern von Vadsø über das Nattfjelldalen und das Komagdalen bis nach Hamningberg ging, beeindruckte mich sehr. Ihre Geschichte hängt in Form von beschrifteten Bildern an der Wand. Und dort steht, dass sie auf der Bjørneskardhytta kein Brennholz vorfand. D.h. sie musste in der Kälte sitzen, und das bei stürmischem Winterwetter. Es gilt also, das Holz in den Hütten für diejenigen aufzuheben, die's wirklich kalt haben und dringend brauchen.
Noch etwas: Falls ich einmal selbst eine Wintertour in den Nationalpark mache, werde ich auf jeden Fall eigene Anzündhilfen mitnehmen. Denn mit Papier oder Kleinholz kann man hier nicht rechnen.
Mmm, das Essen war wieder einmal köstlich. Gestern habe ich den Fehler gemacht, dass ich beim Essen gelesen habe, weil ich sooo neugierig auf diese Broschüre mit den Geschichten zur Landschaft war. Aber da kriegt man dann gar nicht so richtig mit, was man eigentlich isst. Was schade ist, wenn das Essen ohnehin so knapp bemessen ist (wegen dem Gewicht, das ich ja tragen muss).
Heute war ich also auf Fact-finding-mission. Fünf Stunden lang. "Rasttag" ist also vielleicht doch nicht ganz der richtige Ausdruck, aber ohne schweren Rucksack geht es sich so unbeschwert. Begonnen hatte ich unten im Tal, flussaufwärts. Wollte sehen, wie weit man dort kommt. Aber bald wurde mir die Kraxlerei an den zum teil doch steilen Hängen auf schmalen Gemsenpfaden zu mühsam. Keine Stelle war so kritisch wie die gestrige. Aber ich beschloss trotzdem, den Hang ganz hinauf zum Höhenrücken des Heastačielgi zu steigen. Und das war eine gute Idee. Dort oben sind weiche Matten, Kråbær (Krähenbeeren), Blåbær (Heidelbeeren), Kriechbirken, auf denen es sich wunderbar weich geht. Ich hielt mich am linken Rand des Rückens, um trotzdem noch einen Blick ins Flusstal zu haben.
Der Sandfjordelva ist hier viel lieblicher als im Unterlauf, den ich gestern entlang marschiert bin. Die meisten Seitenhänge sind begrünt. Auf der linken Seite sind sie aber doch etwas schroffer als auf meiner (der rechten) Seite. Tiefe Seitentäler öffnen sich. Und die Bergformationen zeigen beeindruckende Strukturen und Muster.
Ein Seitental des Sandfjordelva öffnet sich
Interessante Hangstrukturen
Da war eine Steilflanke, die insgesamt recht steinig war, wo aber in regelmäßigen Abständen zarte, mit hellgrünem Moos besetzte Rinnen senkrecht nach unten verliefen. Oder ein mächtiger Buckel, der stolz seine Steinschichten zeigte, die schräg von rechts unten nach links oben verliefen. Solche schrägen Gesteinsschichten findet man hier immer wieder.
Gestern habe ich in dieser Broschüre gelesen, dass sich zunächst vor rund 1 Milliarde Jahren flache Ablagerungen aus Sand und Schlamm entlang der Flüsse und am Meeresboden bildeten. Diese wurden dann durch diverse Härtungsprozesse zu Sandstein, Schiefer, Kalkstein und Dolomit. Und als sich die Erdkruste vor 500 Millionen Jahren mächtig zu bewegen begann, wurden diese Schichten zusammengepresst und gefaltet. Sodass sie heute zum Teil recht steil nach oben stehen. An der Küste vor Hamningberg weisen diese Gesteinsschichten oft auch gelbe oder rotbraune Streifen auf, was mit verschiedenen Eisenoxiden zusammenhängt, die darin enthalten sind. Die Rücken und Buckel, die ich heute sah, waren eher graugrün gestreift. Grau vom Stein und grün vom Moos.
An einer Stelle sah ich auch, dass hier der ganze Hang vor einiger Zeit ins Rutschen gekommen sein musste. Man sah deutlich die Stelle, wo sich der obere Bruchrand befunden hat. Das Stein-Erde-Gemisch war aber nicht einfach ganz hinuntergerutscht, sondern war in zieharmonikaartigen Wellen erstarrt, die unten in einem bamstigen Wulst endeten.
Dort war übrigens auch die Stelle, wo mich ein Adler ausgespäht hatte und quasi direkt über mir in der Luft "stand" und dabei helle, hohe Schreie ausstieße. Offenbar wollte er mich dort weg haben, vielleicht weil er Junge in der Nähe hatte. Ich konnte deutlich die langen Federn an den Enden der Schwingen und den breit gefächerten Schwanz sehen. Dann kam aber eine Möwe, die den Adler angriff. Sie war wendiger als er und attackierte ihn immer wieder, bis er genervt ein Stück weiterflog. Eine andere Möwe habe ich heute beim Fischen im Fluss beobachtet. Der Fisch entkam aber wieder ins Wasser. Und da waren auch wieder die vertrauten Rufe der Goldregenpfeifer, die ich so liebe.
Das Wetter war wieder wie gestern – Nieselschauer und dazwischen sonnige Momente. Das gab einem immer wieder das Gefühl, doch noch in Verbindung mit dem Licht, mit der Sonne zu sein und nicht ganz eingeregnet und eingenebelt zu werden. Die Sicht war allerdings nicht sehr gut. Manchmal gab es wie gesagt klare Momente, meistens aber hingen Nebelschleier über den umliegenden Bergen.
Rückweg zur Telebua
Oh, jetzt hätte ich beinahe das Nachlegen im Ofen vergessen. Auf der Hütte von Daniela und Dieter im Kongsfjorddalen habe ich ja gelernt, wie man sparsam heizt – möglichst bald den Zug redzieren und immer nur ein Scheit nachlegen, bis das auch wieder fast verglüht ist. Und dann das nächste Scheit rechtzeitig auf die letzten Glutstücke platzieren. Aber es war nicht zu spät. Mit ein bissel Luftzufuhr konnte ich die Glut noch einmal richtig anheizen.
Noch etwas zum Namen dieser Hütte hier. Die Telebua ist ja auf allen Karten noch als "Telegrafhytta" eingezeichnet. Und ich gehe davon aus, dass früher eine Telefonleitung hierher geführt hat. Und von hier aus nach Hamningberg oder wohin auch immer. Auf dem Weg vom Heastačielgi zur Hütte hinunter habe ich immer wieder Spuren der alten, mittlerweile abgeschnittenen und entfernte Masten gesehen.
Sonntag, 23. Juli 2023 / 02:30
Ich bin ein bissel unrund, weil es schon die ganze Nacht regnet. Und weil die Aussicht, jetzt 3 Tage und 2 Nächte in diesem Regenwetter zu verbringen und mit dem schweren Rucksack am Buckel an die 35 bis 40 km zu marschieren, mich gar nicht antörnt. Ich merke auch, dass ich diesmal nicht so gut vorbereitet bin wie sonst. Das liegt daran, dass ich die letzten drei Monate mit familiären Angelegenheiten beschäftigt war. Und deshalb nicht alle Eventualitäten durchdacht hatte – und z.Bp. in das neue GPS-Gerät keine Alternativroute vom Røyskattfjellet zur Bjørneskardhytta eingegeben habe, sondern nur die über das Noiddiidčearru. Allerdings habe ich die Bjørneskardhytta wenigstens als Punkt gespeichert und kann sie anpeilen.
Das zweite ist, dass mir mein Solarpanel genau nix hilft, wenn dauernd Regenwetter ist. Denn die paar Sonnenblinzler zwischendurch reichen nicht. D.h. mir wird bald der Saft ausgehen. Wenigstens habe ich mir die beiden neuen Kameraakkus gekauft, sodass ich damit eine zeitlang auskomme und die Powerbank hauptsächlich zum Nachladen des GPS-Geräts verwenden kann.
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18:15
Obwohl es die ganze Nacht durchgeregnet hat, war es heute ein erfreulich schöner Tag. Als ich um 10:00 wegging von der Hütte, hatte das Nieseln aufgehört, und die Sonne schimmerte immer wieder mal durch. Vor allem war es den ganzen Tag trocken. Was für eine Erleichterung! Auch der Rucksack tat heute nicht mehr so weh bei Hüfte und Schultern wie an den ersten Tagen. Und ich hatte den Eindruck, dass meine Kondition zunehmend besser wurde.
Der lange Rücken des Heastačielgi
Oben auf dem Heastačielgi war angenehm gehen. Ein paar Rentiere beäugten mich und liefen dann leichtfüßig in die Richtung, in die ich auch musste. Aber die hatten ja kein schweres Gepäck am Rücken ...
Als ich zu den tief eingeschnittenen Seitentälern des Sandfjordelva kam, die gestern den Umkehrpunkt meine Fact-finding-mission gebildet hatten, begann der Rucksack aber wieder weh zu tun.
Nach einer Jause ging ich weiter. Und ich war überrascht, wie mächtig diese Seitentäler waren, die ich zu passieren hatte. Jedes eine kleine Welt für sich! Beim längsten musste ich bis hinauf zur Steingrenze gehen, um es passieren zu können. Denn ab einer gewissen Höhe sind hier alle Berge nur noch riesige Steinhügel, auf samisch čearru.
Doch es gab auch ein reichhaltiges Vogelleben. Immer wieder flogen ryper (Schneehühner) mit ihren rülpsenden Lauten vor mir auf. Die Krias (Seeschwalben) umkreisten mich mit ihren charakteristischen Rufen. Aber sie waren nie aggressiv. Und dann natürlich die unvermeidlichen Goldregenpfeifer und eine Reihe anderer Vögel, sodass mich ein reges Zwitschern und Rufen und Tönen begleitete.
Als ich dann schon ziemlich müde war, erreichte ich endlich die Talfurche vor dem Røyskattfjellet, die gleichzeitig eine Wasserscheide ist. Und nun habe ich mein Zelt an einem lieblich plätschernden Bach aufgeschlagen. Ein sehr intimer Ort, viel Grün. Und wenn dann so im Nu das Zelt aufgebaut ist und ich mir ein köstliches Abendessen zubereite, fühle ich mich wie im Paradies.
Das Røyskattfjellet zeigt sich
Hier schlage ich mein Zelt auf
Montag, 24. Juli 2023
Heute Nacht hat es dichten Nebel gegeben. Und es hat begonnen, so richtig zu regnen, mit dicken Tropfen, die auf das Zelt getrommelt sind. Also nicht mehr nur Nieselregen. Jetzt, um ca. 06:00, ist der Nebel wieder weg, bis auf die Regenschleier, die die Sicht einschränken.
Regen ist Sch... Nicht nur, weil er unangenehm ist. Sondern auch, weil meine neue Rucksackregenhülle von BACH ein totaler Fehlkauf war. Sie sah bestechend aus: Oben ging sie in eine Kapuze über, und sie bedeckte auch noch die Schultern und verlief dann schräg nach unten, wo das Material durch ein Band unterhalb des Rucksacks zusammengehalten wurde. Ich hatte gedacht, das ist die Lösung, weil mir bei der anderen Regenhülle bei starkem Gewitterregen immer der Rucksack hinten am Rücken und an den Seite nass wurde. Also habe ich sie online bestellt. Denn im Sportgeschäft hatten sie sie nicht. Und sie war von BACH, also einer anerkannten Marke.
Problem Nr. 1: Sie passt nicht für meinen pummeligen, etwas breiten Rucksack, der keinen Aufbau hat. D.h. oben hängt jetzt dauernd so ein leeres Zeug weg, das eigentlich über den Rucksackaufbau drübergestülpt werden sollte. Aber gut, das ist nur ein Schönheitsfehler.
Problem Nr. 2: Eigentlich brauchte ich ja eine Spezialregenhülle, weil ich hinten am Rucksack mein Zelt außen aufgeschnallt habe. Und das macht ihn so breit, dass normale Regenhüllen dann nicht mehr über die Seiten des Rucksacks reichen, sodass dort alles nass wird. Doch dieses neue Modell reicht unten erst recht nicht ausreichend über die Seitenflanken, weil ich den Gupf oben nicht über meinen Rucksack drüberziehen kann und sie dadurch unten zu kurz ist.
Problem Nr. 3: Die Kapuze passt nicht. Sie zieht meinen Kopf dauernd nach hinten, weil die Regenhülle im oberen Teil nicht richtig sitzt. Deshalb habe ich die Kapuze nicht aufgesetzt.
Problem Nr. 4: Die "Flügerl" über den Schultern funktionieren aber nur dann einigermaßen, wenn man die Kapuze auf hat und das Band, das die Kapuze vorne zusammenhält, eng zugeschnürt ist. Ich musste also das Kapuzenband vorne am Hals zusammenziehen und mit einer kleinen Plastikklemme fixieren. Denn sonst hätte mir der Wind die Regenhülle oben weggeweht. Das hatte aber zur Folge, dass mich das Band a) dauernd am Hals würgte und b) dass der Wind, wenn er von vorn kam, die Seitenflügerl von den Schultern blies.
Fazit > Man sollte jedes Material vorher testen, bevor man eine solche Tour unternimmt. Aber wie gesagt, in den Monaten vor meiner Tour hatte ich das wegen der Familienangelegenheiten vernachlässigt.
17:20
Der heutige Tag war irgendwie schräg, aber wettermäßig eine Herausforderung > dichter Nebel und Regen. Wobei der Regen zwischen Nieseln und zünftigem Regen hin und herwechselte. Dazu kam noch, dass ich zu Hause den Karabiner am GPS zu befestigen vergessen hatte. D.h. ich musste es immer in der Hand halten, weil es jedesmal, wenn ich es in die Anoraktasche steckte, die Kartenfunktion unterbrach, und ich dann mühsam wieder den Positionspfeil auf der Karte einstellen musste.
Also GPS in der rechten Hand, denn das brauchte ich heute dringend!!! Und dann musste ich mit der Linken die Stöcke in die Luft halten, weil mich die Krias heute doch angriffen beim Aufstieg aufs Røyskattfjellet. Offensichtlich bin ich in die Nähe ihres Brutgebietes geraten. Die Krias sind für ihre blitzschnellen, aggressiven Attacken bekannt. Doch diese Vögel haben die Eigenart, bei ihren Angriffen immer nur auf den höchsten Punkt loszusteuern. Das heißt, wenn man einen Wanderstock in die Luft hält, attackieren sie nur dessen Spitze. Offenbar sieht ein Mensch mit emporgestrecktem Stock auch recht verwirrend für die Krias aus, weil sie bei diesem Anblick meist rasch abdrehen und sich anderen Angelegenheiten widmen.
Samenrelikt
Gipfelsteinmann auf dem Røyskattfjellet
Ohne GPS hätte ich bei diesem dichten Nebel nie auf diesen Berg hinaufgefunden, der so zerfurcht und weitgestreckt ist. Aber so fand ich zielsicher und punktgenau den Gipfelsteinmann. Auch das eine oder andere Samenrelikt sah ich, obwohl ich nicht einmal danach suchte. Dazu war das Wetter zu unfreundlich. Das eine sah aus wie ein Proviantversteck – aufgeschichtete Steine und in der Mitte ein Hohlraum, den man dann auch noch überdecken konnte. Aber das ist nur geraten. Ich sah auch wieder ein paar von diesen bogasteller (Schützenmäuerchen). Und beim Abstieg sah ich einen hoch aufgeschichteten Steinhaufen. Vielleicht ein Grab?
Insgesamt ist das Røyskattfjellet ein freundlicher Berg, eigentlich recht gut zu begehen, obwohl im oberen Bereich natürlich wieder die unvermeidlichen Steine sind. Aber eher kleinere, mit Erdreich dazwischen. Der Stein hat eine warme, rötliche Farbe. Und der Gipfelsteinmann hat eine lustige, pummelige Form. Ich habe auch wieder, so wie schon beim Steinkreis beim Syltefjordvatn, eine kleine Andacht für die Samen gehalten, denen dieser Berg, so wie auch das Noiddiidčearru, sehr wichtig war und ist. Davon zeugen die vielen Relikte hier in der Gegend. Røyskatt bedeutet übrigens "Hermelin".
Blick zurück Richtung Røyskattfjellet
Ich kam dann exakt bei der Wasserscheide auf der anderen Seite des Røyskattfjellet hinunter. Dort war eine sehr schöne Landschaft, immer noch teilweise in Nebel getaucht, aber man konnte den einen oder anderen kleinen Bach erkennen, der sich durch die grünen Matten schlängelte. Oder einen kleinen Tümpel.
Beim Abstieg vom Røyskattfjellet hatte auch manchmal die Sonne leicht durchgeschimmert durch den Nebel. Aber als ich nun in Richtung Noiddiidčearru marschierte, wurde der Nebel sehr dicht, und der Regen wurde wieder stärker. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand oder wohin ich ging. Ich vertraute einfach dem GPS, das mich über zunehmend steinigere Bergrücken lotste. Die Steine wurden immer größer und nasser. Der Wind blies mir die eine Schulterbedeckung der Regenhülle weg, und ich hielt sie mit der rechten Hand, in der ich gleichzeitig das GPS-Gerät hielt. Die andere Hand brauchte ich, um mich wenigsten auf einer Seite mit den Stöcken in diesem geh-unfreundlichen Gelände abstützen zu können. Denn wenn ich hier ausrutschte oder stolperte, könnte das ungemütlich werden.
Das zog sich und zog sich und zog sich ... Geduldig marschierte ich durch diese Steinwüste, immer noch bei Nebel und Regen. Bis ich mich schließlich dem Punkt "Roy4" auf meinem GPS näherte, den ich am Ufer eines kleinen Baches eingespeichert hatte, in der Hoffnung, dass es hier zum Zelten geeignet war. Das war eine wunderbare Idee!!! Dankbar ging ich ein Stück bergab zu diesem Punkt. Die Steinwüste ging hier allmählich wieder in grüne Matten über, und da war auch schon der kleine Bach.
Da bin ich also jetzt. Das Zelt ist aufgebaut, ich habe auch schon zu Abend gegessen – Dorsch in Currysauce. Der Rucksack ist vor allem unten ziemlich nass geworden, und auch an der Seite, wo das Schulterärmelchen immer weggeflattert ist. Aber ein bissel Nässe hält er doch ab. Denn innen drinnen waren die meisten Sachen doch noch weitgehend trocken.Ich freue mich, dass ich das mit dem Røyskattfjellet und dem Noiddiidčearru trotz des Wetters durchgezogen habe.
Dienstag, 25. Juli 2023
Draußen ist der Nebel dicht wie zuvor, vielleicht sogar noch eine Spur dichter. Und natürlich ist alles noch nass, was auch gestern nass war – die Handschuhe, der untere Teil der Regenhose und der Wanderhose, der untere Teil des Rucksacks und das eine oder andere Kleidungsstück. Unrund macht mich, dass gestern mein geliebtes Stirnband verlorengegangen ist. Wegen dieser idiotischen Regenhülle, wo ich dann gestern doch den Kopfteil aufsetzen musste. Und weil der so auf den Kopf presste, ist mir offenbar nicht aufgefallen, dass das Stirnband wegrutschte und hinunterfiel.
Im Moment regnet es wenigstens nicht. Aber das Zelt ist außen ganz nass und von Tropfen übersät. Jetzt freue ich mich schon auf die Ragnarokkhytta, die ich hoffentlich heute erreichen werde.
Zwei Goldregenpfeifer besuchen mich
Vegetation vor meiner Zelttür
Vor meiner Zelttür ist ein kleiner Tümpel, der rundherum von Wollgras umgeben ist. Der ist offenbar recht beliebt bei Vögeln. Gerade eben war ein Goldregenpfeifer-Ehepaar da, vorher zwei andere Vögel ... Das versöhnt mich ein bissel mit dem Wetter, das mir schön langsam doch auf den Geist geht.
Und wie vielfältig und schön der Bodenbewuchs hier ist! Gerade habe ich ihn zu fotografieren versucht. Ich hoffe, dass die glitzernden Wasserperlen zu sehen sind, die hier beinahe jeden Halm schmücken. Da ist olivgrünes Untermoos, ein anderes Moos in hellem Grün, winzige Sträucher, die eine Art Zwergheidelbeeren sein könnten. Blühende Gräser, weiter hinten eine Kråbær-Insel. Der ideale Untergrund zum Zelten. Ich hoffe, dass ich die Pflanzen hier nicht allzu sehr mit meinem Zelt belastet habe.
Und jetzt hilft alles nix: Ich muss trotz Kälte hinaus zum Bach flitzen und mich waschen. So wie jeden Morgen. Das ist Grundhygiene hier.
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19:45
Also heute bin ich wirklich an meine Grenzen gelangt. Entfernungsmäßig war es gar nicht so weit, etwa 14 bis 16 km. Aber ich war nun bereits den dritten Tag in Folge mit dem schweren Rucksack unterwegs. Der Hüftriemen schnitt böse ein und hatte mich an zwei Stellen an den Hüften wundgescheuert, auch die Schultern taten weh.
Das letzte Stück von der Gárgašjohka zur Ragnarokkhytta herauf war dann schon ziemlich anstrengend für mich. Aber ich wollte unbedingt hinauf zur Hütte, die so schön gelegen am Fuß des Bealjáidčearru ist. Ich malte mir aus, wie ich dort meine Sachen trocknen und an einem richtigen Tisch sitzen und lesen konnte. Doch dann war ich offenbar so müde, dass ich die stark klemmende Tür nicht aufbrachte. Nachdem ich es ein paarmal probiert hatte, kam ich zu dem Schluss, dass die Hütte nun nicht mehr frei zugänglich war, und schlug mein Zelt auf einem Wiesenplatz in der Nähe auf.
Und dort, wo im Vorjahr der Hüttenbach freundlich dahingeplätschert war, waren heuer angesichts des fortgeschrittenen Sommers nur noch ein paar vereinzelte Pfützen übrig. Ich musste eine zeitlang suchen, bis ich einen Arm mit etwas Fließwasser fand.
So, das musste einmal gesagt werden, bevor ich über die schönen Dinge des heutigen Tages berichten kann. Ich tastete mich also mit dem GPS im Nebel an das Noiddiidčearru heran. Irgendwie hatte das auch einen besonderen Reiz, einfach in den Nebel hineinzumarschieren und keine Ahnung zu haben, wo ich mich befand. Das Noiddiidčearru ist ja sehr flach oben und hat eigentlich drei Gipfel, wovon zwei gleich hoch sind: 458m. Der dritte hat 454m. Im Nebel hatte das den seltsamen Effekt, dass ich immer wieder glaubte, das ist jetzt der Gipfel, doch das GPS führte mich weiter, zum letzten der drei, der auch auf der Karte offiziell als Hauptgipfel eingetragen ist.
Čearru bedeutet auch hier wieder, dass dieser Berg ein riesiger Steinhaufen ist. Und noiddiid ist verwandt mit dem Sami-Wort Noaide, Schamane. Tatsächlich sind auf www.kulturminnesok.no am Gipfel und an den Hängen dieses Berges besonders viele samische Relikte eingezeichnet – alte Behausungen, Plätze zum Verstauen von Nahrung, die schon erwähnten fangstgroper, ledegjerder und bogasteller, also Fanggruben, Leitzäune aus Stein und Schützenmäuerchen, Steinkreise und andere Kultstellen.
Bogastelle am Noiddiidčearru
Tatsächlich sah ich dann auch gleich neben dem Gipfel eine wunderschön erhaltene bogastelle. Und nach einigem Suchen fand ich dann auch noch eine Fanggrube auf dem Gipfelfeld. Und etwas, was ich als ledegjerd deutete. Das war's dann aber auch schon. Für meine ungeübten Augen ist es schwierig, von Menschen arrangierte Steinhaufen von natürlichen zu unterscheiden.
Ich begann dann nach einem Mitbringsel vom Noiddiidčearru zu suchen, ähnlich wie beim Røyskattfjellet, wo ich einen sehr schönen, mit einem hellen Gittergespinst überzogenen rötlichen Stein gefunden hatte. Doch hier fand ich nichts, was mir ins Auge sprang. Als ich aber bergab ging, sah ich plötzlich einen Stein mit einer Flechte, die wie die Sonne aussah – innen die helle Sonnenscheibe, drumherum in etwas satterem Gelb der Strahlenkranz. Der Stein war zu groß, um ihn mitzunehmen. Also fotografierte ich ihn.
Sonnenflechte
Hier entspringt ein Bach aus dem Untergrund
Beim Abstieg lichtete sich dann der Nebel etwas. Zunächst sah ich etwa 100 m weit, dann mehrere 100 m. Und als ich unten im Tal beim Sandfjordelva ankam, der mir hier wieder begegnete, waren nur noch die umliegenden Berghänge in Nebel gehüllt.
Blick zurück Richtung Noiddiidčearru
Ich folge diesem Bach
Sandfjordelva im Oberlauf – hier vereinigen sich 3 Täler
Auf dem Weg zur Ragnarokkhytta musste ich aber zuerst noch den Gárgaš überqueren, der zwischen Sandfjordelva und Gárgašjohka liegt. Er ist nicht besonders hoch, wie alle Berge hier. Aber der Aufstieg zog sich dahin. Immer, wenn ich glaubte, den höchsten Punkt vor mir zu haben, tauchte dahinter ein neuer, höherer Felsriegel oder eine Kuppe auf.
Ein prächtiges Rentiergeweih
Beim Abstieg auf der anderen Seite fand ich dann ein unglaublich schönes Rentiergeweih. Beide Geweihzweige waren noch am Schädelknochen befestigt. Ich habe die Enden nicht gezählt, aber es waren einige. Und sie waren schneeweiß und gut erhalten. Lediglich eine Spitze war abgebrochen, vermutlich im Kampf oder jedenfalls noch zu Lebzeiten.
Je näher ich von dort hinunter zur Gárgašjohka kam, desto grüner wurden die Berghänge. Und da war ein Zwitschern und Pfeifen und Rufen! Da fällt einem erst auf, wie still es oben in der Steinwüste des Noiddiidčearru war.
Und dann die Enttäuschung! Ich konnte die Tür der Ragnarokkhytta nicht öffnen.
Neben der Ragnarokkhytta steht neuerdings eine kleine Messtation
Mittwoch, 26. Juli 2023 / 04:15
Die heutige Nacht war trocken. Oder sagen wir so, es scheint nicht geregnet zu haben. Aber auf den Gräsern hängen Tautropfen. Und das Zelt ist außen feucht. Vor allem aber ist auch der Nebel wieder zurückgekehrt. Alles ist weiß vor meiner Zelttür. Und ein kleiner Vogel zirpt. Und flattert auf. Jetzt trippelt ein Goldregenpfeifer durchs Gras, aber zum Rufen ist ihm offenbar noch nicht zumute.
08:45
Jetzt schaut die Welt gleich freundlicher aus! Ich habe noch einmal an der Hüttentür herumprobiert. Und sie ging tatsächlich auf. Sie hat also gestern nur fürchterlich geklemmt. Die Hütte hat gemuffelt, und ich habe sie zuerst einmal kräftig durchgelüftet und die alte Asche aus dem Ofen geräumt. Dann habe ich Wäsche gewaschen am Bach. Und eingeheizt. Ich glaube, das tut nicht nur meinen nassen Sachen gut inkl. Zelt, sondern auch der Hütte, damit die Feuchtigkeit ein bissel rausgeht. Ich werde aber nur einmal einheizen. Denn hier ist nicht so viel Holz wie in der Telebua.
Der Nebel hat sich in der Zwischenzeit auch zurückgezogen, jedenfalls in den niedrigeren Bereichen. Der Bealjáidčearru verhüllt immer noch hartnäckig sein Haupt. Aber das kann sich ja noch ändern. Und ich bin so froh. Jetzt erst kann ich diese wunderschöne Landschaft hier so richtig genießen. Ich hoffe nur, dass ich diese sperrige Tür beim Weggehen wieder ordentlich zu kriege. Es ist zwar außen auch ein Eisenband drübergelegt. Aber trotzdem wäre das ungut, wenn sie auch nur einen Spalt breit aufgeht.
Wie anders hier heroben doch die Nachricht an etwaige Hüttengäste formuliert ist! In der Telebua lag ein Infoblatt, in dem der Fischer- und Jägerverband lamentierte, dass alles so teuer sei, und dass sie deshalb Spenden erwarten. Und er wies darauf hin, dass im Zweifelsfall Vereinsmitglieder in der Hütte Vorrang hätten. Das ist schon okay. Aber hier gehört die Hütte dem Roten Kreuz Båtsfjord. Und die betonen, dass jeder die Hütte gratis benutzen kann. Wenn man will, kann man spenden, aber das sei nicht notwendig. Und im übrigen wünschen sie einen schönen Aufenthalt hier.
Kontonr. 49301293703 oder Vippsnr. 18597.
Was mir auch aufgefallen ist: So wie auf der Telebua haben sie auch hier Konservendosen aus Heeresbeständen von 1977. Ob sie die aus Denkmalgründen aufheben? Oder einen Versuch machen, wie lange das Zeug tatsächlich hält? Vielleicht bezieht sich aber das 1977 nicht auf das Alter der Konservendose, sondern auf etwas anderes...
Antiker Militärproviant
Auch Turmat scheint übrigens als Heeresverpflegung eingesetzt zu werden. Im Kastl hab ich eine tarnfarbengrüne Packung "field meal" gefunden, die ansonsten den gleichen Inhalt wie meine Turmat-Packungen zu haben scheint. Vielleicht bezieht sich das Tarnfarbengrün aber auch auf die Jägerei, damit die Rebhühner nicht erschrecken, wenn der Jäger eine orangerote Turmat-Packung aus dem Rucksack holt.
16:45
Gerade war ich oben auf dem Bealjáidčearru. Der Nebel hat am späteren Vormittag die Sicht auf den Gipfel freigegeben. Und ich bin um 12:20 losmarschiert. Als ich näherkam, sah ich, dass der Gipfelsteinmann sich wieder zu verhüllen begann. Und als ich oben war, war fast die gesamte Landschaft in Nebel getaucht. Aber ich hatte ja das GPS mit ...
Ich bin dann einfach gestanden und hab mit beiden Händen und der Stirn den Steinmann berührt. Und da war wieder diese tiefe, zeitlose Stille. So wie im Vorjahr. Die Stille des Seins, wie es Tenzin Wangyal Rinpoche nannte. Die winzige menschliche Zeitspanne und die Zeitspanne dieses Urweltgiganten verschmolzen im Jetzt zu einem einzigen Sein. Unterschiedslos. Und Indifferenz. Nebel, Regen, Schneetreiben, Sonne, Hitze, Sturm, all das kommt und vergeht. Es verändert vielleicht das Äußere dieses Giganten. Aber im Inneren, tief drinnen, ruht er in sich, bleibt er davon unberührt.
Aziz Nasafi (den ich heute vormittag zu lesen begonnen habe):
"If there is wealth, it will pass, and if there is affliction, it will pass."
Auf dem Gipfel des Bealjáidčearru – rundherum ist alles in Nebel getaucht
Einzelne Sonnenflecken auf dem Kjøltindan
In dieser weiten Ebene ist die Hütte schwierig zu finden
Beim Runtergehen vom Bealjáidčearru kam dann plötzlich die Sonne hervor, zuerst nur punktuell. Aber dann wurden größere Flächen blauen Himmels sichtbar. Mich persönlich hat sie zwar nicht angestrahlt. Aber dafür war das Fotografieren jetzt interessanter.
Und dann staunte ich nicht schlecht, wie schwierig es war, in dieser weiten, leicht abfallenden Ebene unterhalb des Bealjáidčearru die Hütte wiederzufinden. Denn ganz flach war die Landschaft ja doch nicht. Da gab es immer wieder Felsrippen und Stufen dazwischen, oder leichte Wölbungen. Da kann eine kleine Hütte schnell aus dem Gesichtsfeld verschwinden. Und die Gleichförmigkeit der Hintergrundlandschaft trägt auch nicht gerade dazu bei, die Orientierung zu verbessern. Ein Blick aufs GPS, das ich im Expeditionsmodus mitlaufen hatte, zeigte mir, dass ich trotzdem die richtige Richtung gewählt hatte. Die Hütte sah ich aber erst ganz zuletzt, als ich schon recht nahe war.
Und da war mir, als ob ich zwei Leute, ohne Rücksäcke, von der Hütte weggehen sah. Als ich näherkam, roch ich dann intensiven Brandgeruch. Und ich dachte mir schon, die beiden haben den Ofen angeheizt. Doch als ich vor der Hütte stand, sah ich, dass die beiden direkt neben der Holzhütte zwischen zwei Steinen eine Art Lagerfeuer mit Birkenscheiten gemacht hatten. Die Scheite glühten und die Flammen züngelten. Zwei Steine bieten keinen wirklichen Schutz nach allen Seiten. Und die beiden waren einfach weggegangen und hatten das Feuer sich selbst überlassen. Ich verbrauchte 2/3 des Wassers aus meinem Wassersack, um diesen Brand zu löschen.
Draußen ist immer noch stellenweise blauer Himmel. Und ich habe das Solarpanel an die Hüttenwand in Richtung Sonne gelehnt und die Powerbank drangehängt. Sie hat zu blinken begonnen und den Füllstand 80% angezeigt. Werden sehen, wieviel das Solarpanel schafft bei diesen Bedingungen.
Dieses seltsame Gerät vor der Hütte, das mir gestern schon aufgefallen ist, dürfte eine Forschungsstation oder Messtation sein, die mit Solarstrom betrieben wird. Laut Beschriftung der Kabel und Teile geht es um Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Strahlung und vermutlich auch Bodenfeuchtigkeit und -temperatur, weil eines der Kabel in die Erde hineinführt. Es steht auch überall Ragnarokk drauf, woraus ich schließe, dass es mehrere solcher Messstationen gibt. Und das Ganze steht auf einem dreifüßigen Gestell, dessen Füße jeweils mit zwei dicken Bodennägeln verankert sind. Ob das wintertauglich ist?
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Seit ca. zwei Stunden ist auch die Hütte in warmes Abendlicht getaucht. "The golden hour", die in der Mitternachtssonne einige Stunden dauert, bis das warme Gold allmählich in intensiveres Rot und dann in kühles bläuliches Rot übergeht.
Donnerstag, 27. Juli 2023
Als ich gerade die frisch gewaschene Wäsche draußen vor der Hütte auf die Leine hängen wollte, hörte ich den durchdringenden Adlerschrei. Und tatsächlich entdeckte ich sogar ein Pärchen, das über dem Hüttenbach seine Kreise zog. Das Wetter ist heute wolkig durchwachsen mit Blau, die Sonne kommt immer wieder mal durch. Und ich habe neue Pläne gemacht. Heute bleibe ich noch auf Ragnarokk. Damit die wunde Stelle oberhalb des rechten Beckenknochens noch ein bissel verheilen kann, hoffentlich. Und weil ich, wenn ich jetzt schon wegginge, vermutlich am Samstag abend oder Sonntag vormittag ins Dorf käme. Und dann hat dort alles zu bis auf die Narvesenbutikk vielleicht.
13:25
Gerade ist eine Rentierkuh mit ihrem Kalb etwa 20 m von mir entfernt an der Hütte vorbeigelaufen. Und die beiden kamen noch zweimal zurück, waren offenbar neugierig und ängstlich zugleich. Und über dem Bealjáidčearru braut sich eine Hexenküche zusammen, den gewaltigen Wolkentürmen nach zu schließen, die sich oberhalb des Gipfelplateaus aufzutürmen beginnen.
Über dem Bealjáidčearru braut sich etwas zusammen
Zur Dokumentation:
Meine Powerbank steht mittlerweile bei einem Füllstand von 93%. Und das GPS hat nach 1 1/2 Tagen in dichtem Nebel und anschließendem Expeditionsmodus 2 Teilstriche an Ladung verloren und beim Wiederaufladen 20% der Powerbankkapazität verbraucht. Die Powerbank wiederum hat bei durchwachsenem Himmel rund 9 Stunden gebraucht mit dem Solarpanel, um wieder voll zu werden. Es ist aber offensichtlich, dass es bei voller Sonnenbestrahlung deutlich schneller ginge. Durch das Volladen eines Kamera-Akkus ist der Ladestand wieder auf 67% gesunken.
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22:45
Und so wurde es doch noch ein sehr schöner Abend. Die Landschaft eingetaucht in golden warmes Abendlicht, was dem Grün der Landschaft und dem Rot der Hütte eine besondere Wärme verleiht. Und wieder diese Stille, Schönheit und Stille. Und langsames Vergehen. Die Sonne ist allmählich immer tiefer an den Horizont gerutscht, hat die Wolken rötlich gefärbt und ihnen schließlich gleißende Ränder verliehen.
Bealjáidčearru im Abendlicht
Abendsonne
Golden hour auf Ragnarokk
Gräser an der Hüttenwand
Freitag, 28. Juli 2023 / 05:45
Wow! Strahlender Sonnenschein und blauer Himmel! Wunderbar nach all dem Nebel und Nieselregen! Und draußen vor der Hütte äste friedlich eine kleine Rentierherde. Die Gräser hier scheinen besonders schmackhaft zu sein. Leider sind sie sofort aufgeschreckt, als ich sie fotografieren wollte.
Strahlend blauer Morgenhimmel
Rentiere äsen neben der Hütte
Bei so fantastischem Wetter habe ich gleich meine Pläne etwas geändert. Ich werde mit dem Rucksack Richtung Schulter des Bealjáidčearru marschieren, dort den Rucksack deponieren. Und dann ohne Rucksack nochmals rauf auf den Berg, bevor ich weiter zur Heimdalhytta marschiere.
18:40
Jetzt habe ich wirklich den Königsweg auf den Bealjáidčearru entdeckt. Ich habe den Rucksack wie geplant bei dem kleinen Sattel deponiert, der zum Quellgebiet der Morešveaijohka hinüber führt. Samt eigenem GPS-Punkt zwecks Wiederfinden (und das war gut so, denn ein Steinhaufen schaut dort wie der andere aus).
Das Gelände steigt in Stufen zum Bealje an. Zwischen den Stufen, die großteils aus storkløft (also grobklotzigen Steinblöcken) bestehen, liegen dann leichter begehbare Terrassen. Und auf einer dieser Terrassen, nämlich jener, die unmittelbar vor dem steilen Anstieg liegt, bin ich gemütlich vom Sattel bis unterhalb des Hauptgipfels hinüber marschiert. Von dort bin ich dann direkt zum Gipfelsteinmann aufgestiegen.
Der strahlendblaue Himmel war zwar mittlerweile von einigen Wolken bedeckt. Trotzdem war immer wieder auch die Sonne da. Und die Aussicht war wunderbar. Am besten gefiel mir der Blick über den Bealje-See in Richtung Hanglefjell. Und natürlich der Blick hinüber zum Kjøltindan.
Zweiter Aufstieg auf den Bealjáidčearru
Im Hintergrund Bealje-See und Hanglefjell
Blick Richtung Gárgaš und Noiddiidčearru
Und ich staunte nicht schlecht, als ich über die Kuppe zum Gipfelsteinmann aufstieg und plötzlich mitten im storkløft zwei Rentiere sah. Leichtfüßig wanderten sie dort herum und schienen sogar in dieser Einöde noch hie und da ein Gras zu finden. Später, beim Abstieg, sah ich sie auf dem Schneefeld unterhalb des Gipfels wieder. Rentiere lieben es, sich im Sommer auf den verbliebenen Schneeflecken auszuruhen. Offenbar ist es ihnen zu heiß. Und wenn die Gelsen allzu lästig werden, ziehen sie sich gern in die Steinwüsten zurück.
Mit dem Rucksack kam ich heute ganz gut klar. Die beiden wunden Stellen oberhalb der Hüftknochen waren ein bissel abgeschwollen, und ich hatte Pflaster drübergeklebt. Ich trug den Rucksack heute auch etwas weiter unten auf der Hüfte. Das ging, ohne den Nerv zu beleidigen. Vermutlich, weil er jetzt doch schon spürbar leichter ist.
Quellgebiet der Morešveaijohka
Ein Rentierkalb umkreist mich neugierig
Eine Begegnung muss ich noch berichten. Als ich den Hang von der Morešveaijohka in Richtung Heimdal hinaufging, hörte ich plötzlich hinter mir ein heiseres Blöken. Mittlerweile kenne ich diese Laute schon. Das sind Rentierkälber, die Kontakt knüpfen wollen. Eigentlich Halbwüchsige, die schon ohne Mutter unterwegs und sehr neugierig sind. Und denen die Scheu vor den Menschen fehlt. Jedenfalls sind sie viel zutraulicher als die älteren Tiere.
Steht da also dieses dunkelbraune Kalb, umkreist mich neugierig, kommt näher, zieht sich wieder etwas zurück ... Und springt dann mit einer Eleganz davon, dass ich mir schon ziemlich schwerfällig im Vergleich dazu vorkam.
Ich erreiche die Heimdalhytta
Gottseidank, der Hüttenbach führt noch Wasser
Als ich mich dann der Hütte näherte, sah ich, dass der obere Teil des Hüttenbachs ausgetrocknet wirkte. Da wurde mir etwas mulmig zumute. Denn ich war sehr durstig und hatte kein Wasser dabei, hatte mich auf den Hüttenbach verlassen. Während der Zeit der Schneeschmelze, die bis in den Juni hineindauert in diesen Breiten und Höhen, sprudeln überall die Bäche aus den Hängen hervor. Und im Lauf des Sommers versiegen dann einige von ihnen. Das Furten ist jetzt, Ende Juli, viel einfacher als im Vorjahr, wo ich Ende Juni, Anfang Juli unterwegs war. Dafür besteht jetzt, Ende Juli, die Gefahr, dass man plötzlich ohne Wasser dasteht.
Aber hier auf Heimdal war meine Sorge jedenfalls unbegründet. Der Bach führte zwar sehr wenig Wasser. Aber es war genug da, um meinen Wassersack zu füllen. Und auch einem Morgenbad wird nichts im Weg stehen.
Eigentlich wollte ich heute noch Wäsche waschen. Aber ich bin zu müde. Und mittlerweile sehne ich mich auch nach der Zivilisation, so wie dieses Ehepaar, das ich auf dem Weg zur Telebua getroffen habe. Hoffentlich klappt übermorgen abend das Autostoppen nach Berlevåg.
20:30
Nun habe ich doch noch gewaschen. Zuerst mich im Bach, und dann das Leiberl, den BH und die zwei Unterhosen. Denn ich konnte mich nicht mehr riechen, obwohl ich mich konsequent jeden Morgen im Bach gewaschen habe. Draußen ist der Himmel wieder ganz klar, und vielleicht erlebe ich heute noch die Mitternachtssonne.
Sonntag, 29. Juli 2023
Um 02:00 Früh war draußen noch wolkenloser Himmel. Und als ich gegen 05:00 nochmals raus musste, war der Nebel so dicht, dass man nicht einmal bis zum Hüttenbach sah. Ich bin übrigens draufgekommen, warum ich mich nicht mehr riechen kann. Es sind die Füße. Ich hatte gedacht, wenn ich mich jedesmal beim Waschen im Bach mit den Füßen ins Wasser stelle, brauche ich nicht mehr viel mit Seife dran herumzurubbeln. Das Einseifen hat nämlich den Nachteil, dass man sich dabei wohin setzen muss. Und wenn ich aber flitze, bin ich nackt. Und mit nackten Hintern auf eine nasse Wiese oder einen kantigen Stein setzen ist nicht so prickelnd. Aber, wie sich zeigt, nur Spülen reicht nicht ...
Gerade hat sich ein kleiner Vogel in Spatzengröße mit braunem Rücken und Flügeln und zartorangem Bäuchlein aufs Fensterbrett gesetzt, keinen halben Meter von mir entfernt, und hat neugierig hereingeschaut. Ich habe mich nicht gerührt. Und er blieb sitzen, bis ein zweiter Vogel derselben Art kam, dem er dann nachflog. Und irgendwie scheint sich meine Präsenz herumgesprochen zu haben, denn gerade ist auch ein kleiner grünlicher Vogel zum Fenster geflattert und hat dort kurz in "Standschwebe" in der Luft verharrt.
Auch hier kurz vor der Helheimhytta gibt es eine Bogastelle
Und hier ist sie, die Hütte
18:00
Bin irgendwann zwischen 14:00 und 15:00 zur Helheimhytta gekommen. Hab nicht auf die Uhr geschaut. War zu sehr damit beschäftigt, zuerst all die nassen Sachen aus dem Rucksack zu räumen. Wieder war der Rucksack unten am nassesten, obwohl ich die Regenhülle dort so gut ich konnte drübergezogen hatte. Unten im Rucksack ist aber der Schlafsack, und der ist besonders empfindlich gegen Nässe. Ich habe ihn deshalb zusätzlich in einen von meinen zusammenrollbaren Einkaufssäcken gepackt. Der ist zwar aus Kunststoff, aber leider nicht wasserdicht, wie sich herausstellte. Dafür scheint die Schlafsackhülle einiges auszuhalten. Die war zwar außen nass. Der Schlafsack scheint aber trotzdem weitgehend trocken zu sein.
Der Rucksack war auch teilweise auf den Seiten waschlnass. Die Missgeburt (=meine Regenhülle) ist wirklich eine Katastrofe. Glücklicherweise hatte ich auch sonst alle sensiblen Sachen wie Powerback, Daunenjacke u.a. Gewand in wasserdichte (diesmal wirklich dichte) Packsäcke gegeben, sodass sich die Katastrofe in Grenzen hielt. Natürlich waren Hose und Regenhose nass, unten vor allem. Die Schuhe auch. Und der Anorak. Das Stofftaschentuch aus der Anoraktasche war tropfnass.
Die Ofenwärme tut gut
Ich genieße den Hüttenabend
Ich habe also zuerst alles ausgepackt. Und damit den ganzen Aufenthaltsraum der Hütte angefüllt. diese hier ist wirklich die kleinste der "Linjehyttene". Dann Wasser geholt. Es gibt ein munter sprudelndes Bächlein gleich neben der Hütte am Hang. Und dann hab ich den Ofen eingeheizt. Eine gute Seele hat ausreichend Sprießeln vorbereitet, wofür ich dankbar war. Ich bin ja recht ungeschickt mit der Axt. Dafür habe ich dann die Rinde von den Holzscheiten geschält, soweit das möglich war. Das ist genauso gut zum Anheizen. Und von den stärkeren Sprießeln habe ich ohnehin nur einen kleinen Teil verbraucht.
Dann habe ich Kaffee getrunken und gegessen. Auch eine von den Hüttensuppen. Eine mit knappem Ablaufdatum. Hier haben die Leute vom Roten Kreuz extra ins Hüttenbuch geschrieben, dass man sich alles nehmen darf, Essen und Holz, solange man den eigenen Mist wieder mitnimmt.
Dann habe ich das Hüttenbuch studiert. Erstens weil ich das immer gerne tue. Und zweitens weil ich wissen wollte, welchen Weg die Einheimischen hierher zur Hütte wählen (von Ordo kommend). Einige, vor allem Touristen, kamen vom Stjernevannet. Einer beschrieb, dass er Stuorra Oarddo und Rávdoljohka gefurtet hat und über das Rávdolskáidi gegangen ist. Das ist eine Variante, die ich auch ins Auge gefasst hatte. Allerdings ginge die nur bei guter, stabiler Sicht, denn ich habe sie nicht im GPS eingespeichert. Und dann gab es einige Einheimische, die erklärten, sie seien über die "Delinga" hierher zur Hütte gekommen. Die habe ich auf der Karte gesucht und auch gefunden.
Helheim liegt genau auf der Wasserscheide. Der kleine See neben der Hütte fließt schon nicht mehr in den Bach, oberhalb dessen ich hierher gekommen war, sondern drüben auf der anderen Seite ab. Man geht also einfach das sanfte kleine Hüttental weiter, bis der Bach in die Rávdoljohka mündet. Und dann geht man im Tal der Rávdoljohka weiter, bis diese in den Stuorra Oarddo mündet, der weiter unten auch Syltefjordelva heißt und in den Syltefjorden fließt. Und genau an diesem Zusammenfluss ist die Delinga, was eigentlich Teilung bedeutet und flussaufwärts gesehen ja auch stimmt. Von der Delinga geht man dann den Stuorra Oarddo flussaufwärts bis zum Oarddojavri, jenem See, an dem die kleine Sommersiedlung Ordo liegt. Auf dieser Route kann man sich auch im Nebel kaum vergehen, weil man sich ja immer in Bach- oder Flusstälern bewegt. Wie das mit der Begehbarkeit der Ufer aussieht, weiß ich nicht. Aber das werde ich ja morgen sehen. Wenn die Einheimischen es schaffen, sollte ich es um diese Jahreszeit auch schaffen.
Doch nun zum heutigen Tag:
Es war der beschissenste Tag der ganzen Strecke. An allen anderen Tagen hatte ich immer wieder etwas Schönes finden können, trotz Kälte, Regen und Nebel. Aber heute war es kein Nieselregen, sondern ein handfester Landregen, der mich und mein Gepäck von oben bis unten durchnässt hat. Der Nebel war ärger denn je, mit Sicht teilweise nur 15 bis 20 Meter. Ohne GPS wäre ich komplett aufgeschmissen gewesen. Aber auch mit GPS hatte ich so meine Schwierigkeiten. Leider weiß man beim Routenplanen nur bedingt, welches Gelände einen dort erwartet. Wenn in der Karte ein Sumpf eingezeichnet ist, wird man den natürlich zu vermeiden suchen. Aber wie soll man nicht eingezeichnete Sümpfe vermeiden? Jedenfalls stapfte ich heute sehr sehr lange durch sumpfiges Gelände. Und der Sumpf war großflächig. Bei dem dichten Nebel war es unmöglich, ihm auszuweichen.
Da war dann meine Stimmung endgültig im Keller. Helheim ist ja die altnordische Bezeichnung fürs Jenseits. Keine Ahnung, wie sie auf diesen Hüttennamen gekommen sind. Die Linjehyttene sind Anfang des 19. Jahrhunderts zu einer Zeit erbaut worden, als überall die altdeutschen und altnordischen Traditionen großen Auftrieb hatten. Heimdal ist der nordische Götterbote, Ragnarokk der nordische Weltuntergang.
Helheim also, Jenseits, und dann gab es noch Niflhel, was man mit Nebelhölle übersetzen könnte. Und genau in so einer Nebelhölle bewegte ich mich heute. Das GPS hat mich aber auch diesmal richtig ans Ziel geführt. Und jetzt bin ich froh, dass ich für morgen eine ansprechende Exit-Route aus dem Nationalpark gefunden habe.
30. Juli 2023
Der heutige Tag war ein wunderbarer Abschluss meiner heurigen Nationalparktour. Und er hat mich mehr als entschädigt für die gestrigen Strapazen.
Ich war ziemlich früh aufgewacht, um 04:00, und konnte nicht mehr schlafen. Also frühstückte ich in aller Ruhe, packte zusammen und ging um 07:00 los. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Wind zwar bereits etwas beruhigt, aber der Nebel war so dicht, dass man kaum weiter als 20 bis 30 Meter sah.
In der Hütte hatte ich einen großen schwarzen Mistsack gefunden, einen von den wirklich dichten, den ich in den Rucksack legte, sodass der gesamte Inhalt vor Nässe geschützt war. Und ich fixierte die herumflatternde Regenhülle an den Seiten, indem ich eine Ersatzzetleine um den gesamten Rucksack samt Hülle band.
So ausgerüstet machte ich mich also auf den Weg und beschloss, nicht direkt im Tal zu gehen, sondern oben auf der Hangkante. Nachdem der Nebel aber so dicht war, übersah ich, dass ich irgendwann nicht mehr dem Haupttal, sondern der Kante eines Nebentals folgte, das ins Haupttal eingemündet war. Und ich wunderte mich, dass das Wasser plötzlich scheinbar "verkehrt herum" floss (da ich ja nun nicht mehr flussabwärts, sondern flussaufwärts ging). Recht weit war ich Gottseidank noch nicht vom Weg abgekommen, als ich diesen Fehler bemerkte. Aber ich aktivierte das GPS, das mir zwar keine Route zeigte (die hätte ich zuhause eingeben müssen), aber zumindest die Flüsse, deren Lauf ich folgen wollte.
Zusammenfluss
Nach einer Weile wurde der Weg oben immer beschwerlicher wegen der groben Steinblöcke, die dort lagen. Und das Tal schnitt sich immer tiefer in die Landschaft ein. Die Sicht war nun auch besser, und ich sah, dass das Tal unten recht gut begehbar schien. Mittlerweile war ja der erste Bach bereits in einen zweiten gemündet und deutlich größer. Ich nutzte deshalb eine geeignete Stelle, an der die Seitenwände des Tals etwas flacher waren, und stieg ab.
Eine gute Entscheidung. Denn unten war es grün und lieblich, manchmal sumpfig, aber nie schwierig zu begehen. Es war erstaunlich, wie mich der kleine Hüttenbach binnen Kurzem in eine beeindruckende Flusslandschaft geführt hatte. Schließlich kam ich an die Stelle, wo die Rávdoljohka ins Tal einmündete, und sie war wie erwartet gut zu furten.
Das Tal ist nun breit und schön zu gehen
Delinga – hier fließt die Rávdoljohka in den Syltefjordelva
Schließlich kam ich zur Delinga, dem Zusammenfluss von Rávdoljohka (in der "mein" Bach mittlerweile integriert war) und dem Syltefjordelva alias Stuorra Oarddo. Was für ein schöner, idyllischer Ort! Saftige Sumpfwiesen mit weißem Wollkraut breiteten sich vor mir aus, und am Wasser entlang grüne, baumartige Sträucher. Auch zwei (private) Hütten konnte ich in dieser Flussidylle entdecken. Der Nebel hatte sich mittlerweile weitgehend zurückgezogen und hüllte nur noch die höchsten Fjellgipfel ein. Und zwischendurch kam immer wieder mal die Sonne hinter den Wolken hervor. Es war auch deutlich wärmer als am Vortag.
Die Multebeeren sind hier noch nicht reif
Ich folge dem Syltefjordelva flussaufwärts
Schließlich komme ich zu einem Rastplatz
Fjelljo – eine für den Varanger Nationapark typische Vogelart
Ich erreiche das Sommerdorf Ordo
Der Weg flussaufwärts den Sandfjordelva entlang war dann ebenfalls recht idyllisch und kürzer als ich gedacht hatte. Schon bald erreichte ich die kleine Sommersiedlung Ordo, die an einem See liegt. Ich war schon etwas müde. Und als sich auf dem Karrenweg hinauf zur Straße ein Auto hinter mir näherte, streckte ich den Daumen in die Höhe. Das Auto blieb tatsächlich stehen. Ein junges Ehepaar, das eine Hütte in Ordo hatte und kurz nach Båtsfjord zum Essen fahren wollte. Doch vorher brachten sie mich noch zur Wegkreuzung von Gednje, wo die Straße nach Berlevåg abzweigt. Er war begeisterter Fischer und erzählte, dass er schon als Kind hier am Oarddojavri (dem See bei Ordo) gespielt hatte. Und dass er aber nie so weit ins Fjell hineingegangen sei wie ich.
Bei Gednje hatte ich dann gerade noch Zeit, mir den Anorak anzuziehen, weil ein etwas kühlerer Wind aufgekommen war. Da blieb auch schon das nächste Auto stehen. Diesmal mit Ziel Berlevåg. Eine jüngere Lehrerin, die vor vier Jahren zur Chefin für die Organisation der Ausbildung in der ganzen Finnmark avanciert ist, sowohl für schulische als auch betriebliche Ausbildung inklusive Gesundheitswesen, nahm mich mit. Sie war auch sehr verbunden mit den früheren Wohnorten ihrer Eltern, Großeltern und sonstigen Verwandten. Ein Teil der Familie lebte früher im Syltefjorden, in dem heute nur noch Sommerhäuser zu finden sind. Und ein Bruder oder Onkel hatte ein Haus auf der anderen Seite des Syltefjorden. Sie selbst hat dort jetzt drei Wochen Ferien verbracht, bevor sie morgen wieder ihren Dienst in Vadsø antritt.
Wir sprachen dann auch über Berlevåg. Und sie erzählte, dass ein Onkel von ihr in Båtsfjord einen Gemischtwarenladen hat und alle Waren aus dem Lager von Ottar Neergård in Berlevåg aufkaufte. Da seien Waren aus den 60er und 70er Jahren dabei gewesen, lauter interessante Sachen. Ottar Neergård war ein Geschäft in Berlevåg, in dem man alles bekam, was der Mensch so zum Leben braucht, außer Essen. Ottar soll auch nie seine Waren in diversen Schlussverkäufen verschleudert, sondern stets alles auf Lager gelegt haben. Irgendwann war das offenbar nicht mehr rentabel, und die Familie musste das Geschäft schließen.
Gleich nach meiner Ankunft in Berlevåg rief ich Daniela an. Sie arbeitete trotz Sonntag im Glasstudio. Im Sommer ist u.a. wegen der Touristen immer viel los in der Glasboutique. Deshalb arbeitet Daniela auch am Sonntag und hat dafür morgen frei, wenn Marika, ihre Angestellte, wieder da ist.
Im Glasstudio ist es immer spannend zu sehen, an welchen neuen Sachen Daniela arbeitet. Sie ist künstlerisch sehr begabt. Alles im Laden ist feinste Handarbeit. Ihr neuestes Projekt ist eine Ausstellung "Reflektionen übers Leben". Die Idee dazu kam ihr bei einer Residency mit einem anerkannten kalifornischen Glaskünstler, Steve Klein. Dabei machte sie Abriebe von interessanten Holzmaserungen und formte daraus Lebensbahnen, Spiralen etc. Und ja, aus Glas. Sie hatte dafür Glaspulver mit einer chemischen Substanz vermischt, die Glas hauchdünn formbar macht, als handle es sich um Papier. Besonders berührend fand ich eine Wandinstallation, wo von oben im Bogen nach rechts unten zunächst viele gemaserte Glasblätter dicht gefächert aufeinander folgten. Dann kam leere Wand, dann nochmals zwei Glasblätter. Und dann mit Abstand noch ein Blatt. Eine wie mir schien sehr gelungene Darstellung des Themas Demenz. Denn demente Menschen verlieren ja nicht ihre Intelligenz. Sie verlieren nur immer mehr Verknüpfungen zwischen ihren Ganglien. Und mit der Zeit verlieren sie ihr Leben, ihre Erinnerungen, und schließlich auch ihre Worte.
Daniela lud mich zu einem gemütlichen Kaffeeplausch ein und erzählte mir, dass die Hütte im Kongsfjorddalen noch nicht verkauft sei. Und sie bot mir an, die kommende Woche dort zu verbringen. Quasi um Abschied zu nehmen. Denn in den letzten Jahren durfte ich die Hütte (gegen ein Entgelt, auf dem bestand ich) mitbenutzen. Morgen würde sie mich gemeinsam mit Dieter mit dem Auto zur Hütte bringen, und wir könnten dort bei einer gemeinsamen Jause plaudern und Erlebnisse austauschen.
Und ich sitze jetzt in der warmen Stube im Pensjonat. Draußen auf dem Campingplatz habe ich mein Zelt aufgeschlagen. Aber ich mag nicht in die Kälte hinaus, noch nicht.
Montag, 31. Juli 2023
Heute vormittag in Berlevåg im Pensjonat sprach mich ein Spanier an, der aber hervorragend Norwegisch sprach. Er erzählte mir, dass er Teil eines Teams sei, das die pazifischen Lachse hier aus den Flüssen fischt, damit der Bestand an norwegischen Lachsen nicht total untergeht. Die seien von Japan nach Russland gekommen und würden von dort aus zunehmend in die Flüsse hier eindringen. Und den Flüssen auch nicht guttun, weil die pazifischen Lachse nach dem Laichen absterben und damit die Wasserqualität beeinträchtigen. Sie sperren deshalb die Flüsse mit Gittern ab, und wenn die Fische in einem Auffangbecken sind, lassen sie die norwegischen Lachse frei. Die anderen töten sie und werfen sie ins Meer als Krabbenfutter.
Dieter erzählte dann auch noch, dass sie dabei mit künstlicher Intelligenz arbeiten. Da gibt es Kameras, die die pazifischen von den atlantischen Lachsen unterscheiden können und für die atlantischen eine Reuse zum Weiterschwimmen öffnen und die pazifischen Lachse in ein Auffangbecken umleiten. Alle zwei Jahre sei hier das Problem besonders groß, weil die pazifischen Lachse zwei Jahre brauchen, bis sie geschlechtsreif sind und in die Flüsse zurückkehren.
Hier werden die Pazifiklachse von den Atlantiklachsen getrennt
Ankunft bei der Hütte meiner Freunde im Kongsfjorddalen
Am frühen Nachmittag haben mich Daniela & Dieter dann zur Hütte gebracht. Nun sitze ich alleine hier. Die Gegend ist so schön und vertraut. Und es macht irgendwie traurig, dass die Hütte nun verkauft werden soll. Schätzwert: 450.000 NOK. Und es werden aber zur Zeit so viele Hütten im Kongsfjorddalen zum Verkauf angeboten, dass sie schon froh sind, wenn sie 300.000 NOK bekommen.
Ich überlege nun, ob das nicht eine tolle Gelegenheit wäre, die Hütte selbst zu kaufen. Denn 300.000 NOK sind leistbar. Aber ich habe halt kein Auto, um Verpflegung o.ä., und auch mich selber, hierher zu bringen. Mit dem Reparieren diverser kleiner oder größerer Schäden an der Hütte täte ich mich furchtbar schwer. Und ich weiß auch nicht, wie lange ich noch hier herauffahren und meine Wandertouren wild durchs Gelände machen kann.
Mittwoch, 3. August 2023
Heute, auf dem Rückweg vom Kjerkehaugen, habe ich die Idee mit dem Hüttenkauf dann endgültig verworfen.
Montag, 7. August 2023
Gestern holte mich Daniela von der Hütte ab. Und als wir auf der Uferstraße dahinfuhren, fiel mir auf, dass unglaublich viele Möwen auf der Straße saßen, bei irgendwelchen dunklen Klumpen, und erst im letzten Moment widerwillig aufflogen. Daniela erklärte mir, dass die Möwen die Seeigel, die sie aus dem Meer anschleppen, aus großer Höhe auf den Asphalt fallen lassen, sodass die Schale bricht und sie den Inhalt herausschlürfen können.
Am frühen Abend gingen wir dann zu dritt essen im neu eröffneten Restaurant "Oliver". Lammkoteletts mit Pastinakenpüree, Weinsauce und Gemüse. Schmeckte hervorragend. Und Daniela erzählte, dass die beiden, die das Restaurant führen, im "Brygge" in Båtsfjord gelernt hatten. Dort wo ich vor zwei Jahren so begeistert über die exzellente Küche war.
Anschließend Kinobesuch im Berlevåger Gemeindesaal. "Oppenheimer". Ein sehr tief berührender Film. Vielschichtig. Der auch diese Bruchlinien in der menschlichen Psyche aufzeigte, wo Menschen in der Dynamik der Ereignisse Entscheidungen treffen, die letztlich grauenhafte Folgen haben.
Dienstag, 8. August 2023
Eigentlich wollte ich ja nur einen Abendspaziergang machen. Aber dann stand die Tür des Hafenmuseums so einladend offen, und ich schaute neugierig hinein. Ein junger Mann saß an der Kasse und erklärte mir, dass heute im 1. Stock um 18:00 ein Vortrag von einem Professor Soundso über die Begegnungen von Polarforschern mit der einheimischen Bevölkerung in Grönland und Sibirien sei. Und dann noch ein Film über einen Walrossforscher. Und eine Fotoausstellung von der Frau, die auch den Walrossfilm gemacht hat. Volles Programm also. Und gut besucht. Ich hab's nicht bereut.
Im Museum fiel mein Blick auf einen Holzrahmen mit zwei abgetragenen Fäustlingen hinter Glas. Die Fäustlinge gehörten Ruth Hartviksen (1922-2019). Im Text daneben erfuhr ich, dass sie den Partisanen in Berlevåg während des II. Weltkriegs geholfen hatte und, als sie entdeckt wurde, nach Deutschland ins Zuchthaus kam. Wie durch ein Wunder überlebte sie. Doch zwei ihrer Brüder wurden zum Tod verurteilt. Ruths Fäustlinge wurden repariert und bekamen ein Zitat aus Anne Franks Tagebuch aufgestickt – als Teil einer Kunstausstellung "Silent Eyewitnesses" der russischen Künstlerin Daria Buyun im Jahr 2019.
Ruths Fäustlinge
Im Vortrag ging es dann um Fridtjof Nansen, Roald Amundsen und Harold Ulvik Sverdrup, den wissenschaftlichen Leiter der Maud-Expedition in die Arktis. Der Professor erzählte, dass die Engländer ihre Arktisexpeditionen im Kampf gegen die Natur gemacht hätten, und die Norweger versucht hätten, die Naturkräfte zu Verbündeten zu machen. Das war mir natürlich sofort sympathisch. Deshalb hatten Amundsen etc. auch die Grönländer und andere Eingeborene studiert, um von ihnen zu lernen, wie man ein Zelt baut (Außen- und Innenzelt wurden damals schon erfunden von den Inuit), wie man sich am besten kleidet, wie man die besten Iglus baut etc.
Bei dieser Gelegenheit legten die Forscher nicht nur ihre Vorurteile gegenüber "primitiven Völkern" ab, sondern sammelten auch eine Menge Wissen und Artefakte von diesen Völkern.
Und dann kam die Expedition der Maud, einem Segelschiff, das so verstärkt war, dass es im Treibeis nicht zerdrückt wurde. Die Maud sollte sich eigentlich von der Polardrift erfassen lassen, die das Eis genau über den Nordpol transportiert. Und Amundsen ernannte Sverdrup zum wissenschaftlichen Leiter dieser Expedition. Der Maud gelang es aber nie, ins Treibeis zu kommen. Stattdessen bewegte sie sich entlang der Nordostpassage vorwärts und wurde insgesamt sechs Mal vom Eis eingeschlossen und musste überwintern. Dabei lernte die Besatzung verschiedene sibirische Stämme kennen und berichtete über sie. Sverdrup versuchte sogar die Sprache zu lernen und äußerte sich sehr anerkennend darüber, dass bei manchen dieser Stämme Männer und Frauen völlig gleichgestellt waren.
In der Öffentlichkeit galt die Expedition der Maud als gescheitert. Doch tatsächlich war es eine der erfolgreichsten wissenschaftlichen Expeditionen überhaupt, weil das Team unter Sverdrup wertvolle meteorologische Daten sammelte, die dazu führten, dass Norwegen sich damals zu der führenden Wissenschaftsnation auf diesem Gebiet entwickelte. Gleichzeitig sammelte die Besatzung kostbare Informationen über diese Stämme.
Anschließend genoss ich noch die wundervolle Abenstimmung an meinem letzten Urlaubstag im hohen Norden.
Abendstimmung in Berlevåg