Im Juli 2024 wollte ich die Nordkinnhalvøya besuchen, die zwischen Nordkapp und Varangerhalvøya liegt und mit dem Kinnarodden den nördlichsten Landpunkt Europas aufweist. Denn das Nordkapp liegt ja bekanntlich auf einer Insel. Weitere Ziele meiner Reise waren die Finnkongkeila, eine schmale Bucht mit samischer Tradition, deren blühendes Leben im II. Weltkrieg ein jähes Ende fand. Heute steht sie unter Naturschutz. Und dann war da noch das Steinlabyrinth auf dem Mikkelberg an der Küste von Slettnes, eine alte Kultstätte der Samen, auf der es vermutlich um Begräbnisriten ging.
Donnerstag, 4. Juli 2024
Gestern beim Flug nach Mehamn hat alles gut geklappt. Ich musste zwar in Oslo mein Gepäck eigenhändig durch den Zoll tragen und dann noch einmal einchecken. Aber ich hatte genug Zeit. Und auch in Tromsø wiederholte sich diese Prozedur, weil ich für den Weiterflug mit Widerøe ein zweites Ticket hatte und nicht durchchecken konnte. Mit künstlichem Hüftgelenk heißt das jedesmal, dass man von vorne und hinten abgetastet und durchleuchtet wird. Aber das bin ich ja gewohnt. Und in Mehamn wartete tatsächlich der im Vorhinein bestellte Flexx-Minibus, der mich bis vor die Haustür meines Quartiers brachte.
"The Blue House at the End of the World" ist wirklich ein empfehlenswertes Quartier. 150 Euro für zwei Nächte ist für hiesige Verhältnisse sehr okay. Ich hatte ein geräumiges und nett eingerichtetes Zimmer mit schönem Ausblick. Und auf der anderen Seite des Stiegenhauses eine Küche mit Bad und WC ganz für mich allein. Der Eigentümer, Nils, scheint in Deutschland zu leben. Und er hat eine sehr nette Ukrainerin, Yulia, die das Quartier vor Ort betreut. Allerdings entdeckte ich später, dass Nils dieses Haus auf einer Immobilien-Website zum Verkauf anbietet. Wie lange dieses Quartier für Touristen noch verfügbar sein wird, bleibt abzuwarten...
Apropos Ukrainerin – in der Touristikbranche und generell bei Dienstleistungen begegneten mir in Mehamn vor allem Ausländer:innen. Der nette Mann von der Tankstelle schien arabischen Background zu haben. Die Rezeptionistin im Mehamn Arctic Camp verstand mich nur schlecht, als ich sie auf Norwegisch anredete. Auch das Personal im Mehamn Arctic Hotell hatte großteils Migrationshintergrund.
Ich hatte ja befürchtet, in Mehamn womöglich keine passenden Gaskartuschen für meinen Campingkocher zu finden. Diese Sorge war unbegründet. In der Tankstelle wurde ich fündig. Allerdings gab es dort nicht die gewohnten Kartuschen, sondern ganz schmale und hohe. Eine interessante Innovation. Denn mit einer derart kleinen Standfläche unten und dem schweren, breiten Wasserkessel oben ist der Kocher draußen im Gelände, wo der Boden ohnehin uneben ist, noch instabiler als mit den herkömmlichen Kartuschen. Ich habe mich dann so beholfen, dass ich die Kartusche beim Kochen einfach in meinen Bergschuh hineinsteckte.
Aber zurück zu meinem ersten Tag in Mehamn. Das Wetter war so schön, dass ich spontan beschloss, eine Tour auf den Smørbringen zu machen, eine jener Landzungen, die sich von der Nordkinnhalvøya (nw. halvøya = Halbinsel) ins Eismeer hinausstrecken. 16 km hin und retour, genau das Richtige zum Aufwärmen.
Da lernte ich auch die Tücken der norwegischen Markierungen – rote, auf Steine gemalte "T"s – kennen. Zeitweise sind sie so zahlreich, dass man mehrere hintereinander sehen kann. Und dann wieder hören sie plötzlich auf, und man geht quasi auf gut Glück weiter. Denn einen ausgetretenen Weg gibt es ja meist keinen. Vor allem bei größeren zusammenhängenden Grünflächen, etwa in Sumpfgebieten oder in breiten, grasbewachsenen Flusstälern, ist das ein Problem, weil es dort an Steinen zum Bemalen fehlt.
Während der Wanderung hatte ich auch einen guten Blick zum Kinnarodden, dem nördlichsten Landpunkt Europas. Die Landzunge des Smørbringen liegt quasi parallel zu der des Kinnarodden, nur dass sie nicht so weit nach Norden reicht. Genau genommen bezeichnen diese beiden Namen ja nicht die gesamte Landzunge, sondern jeweils nur den äußersten Gupf, der sich in beiden Fällen durch eine tiefe Einkerbung im Gelände von der dahinterliegenden Landzunge abhebt.
Und wie so oft hier in dieser weitläufigen Landschaft narrte mich das Gelände. Wenn ich glaubte, jetzt liegt dieser Landgupf direkt vor mir, zeigte sich, dass hinter dieser Erhöhung noch eine andere lag, und noch eine ... Und als ich endlich vor dem richtigen Smørbringen stand, entpuppte er sich als unbegehbar. Die dazwischenliegende Schlucht war zu steil und tief. Und statt des üblichen "T"s war hier ein großer roter Stopp-Punkt auf einen Stein am Rand der Schlucht gemalt. Ich vermute zwar, dass es trotzdem Leute gibt, die dieses Hindernis überwinden, weil auf der amtlichen Norwegenkarte im Internet (www.norgeskart.no) sehr wohl ein gestrichelter Weg zum äußersten Endpunkt der Landzunge eingezeichnet ist. Aber ich hatte keine Lust auf waghalsige Klettereien.
Am Rückweg kam ich gerade rechtzeitig ins Dorf, um die Ankunft der abendlichen Hurtigrute zu beobachten.
Blick auf Mehamn vom Rundhaugen
Steinfjordvatna, im Hintergrund der Kamm des Smørbringen
Doch hier heißt es stop!
Interessante Schichtungen
Die Hurtigrute trifft ein
Mehamn in der Abendsonne
Freitag, 5. Juli 2024
Um 06:45 sollte mich der Flexx-Bus direkt von meinem Quartier abholen. So hatte ich es mit dem Mitarbeiter von www.snelandia.no telefonisch vereinbart. Doch der Bus kam nicht. Nach etwa 15 Minuten beschloss ich, zur offiziellen Flexx-Haltestelle zu gehen, die nicht weit von meinem Quartier direkt gegenüber dem Mehamn Artic Hotell lag. Und tatsächlich stand er dort, der dunkelgraue Minibus. Der Fahrer sagte, er hätte keine Information bekommen, dass er mich beim Quartier abholen sollte. Er sei auch nur eingesprungen, weil der eigentliche Fahrer krank sei.
Er erzählte mir dann, dass er normalerweise Schneeräumfahrzeuge fährt, und dass er aus Kjøllefjord stammt. Kjøllefjord habe deutlich über 800 Einwohner:innen, Tendenz wachsend, Mehamn nur ca. 700. Und Skjånes, wo wir nun hinfahren, habe 70 Einwohner:innen, hauptsächlich Fischer und Lehrer:innen. Denn Skjånes habe trotz seiner Winzigkeit eine eigene Schule.
Öffis in der Finnmark
In den vergangenen Jahren wurde das öffentliche Busnetz im Norden Norwegens erheblich ausgedünnt. Der Fahrplan wurde zusammengestrichen, und wenig gefragte Routen in Randgebieten wurden auf eine Art Taxi on demand umgestellt, das Flexx-System. Im Prinzip keine schlechte Sache. Die Taxis oder Minibusse können bis zu zwei Stunden vor Planabfahrt online oder per Telefon geordert werden. Anstatt an der offiziellen Haltestelle zu warten, kann man auch vereinbaren, zuhause abgeholt oder dort abgesetzt zu werden. Und die Fahrpreise sind öffentlich gestützt und daher extrem günstig. Der Haken dabei ist, dass das etwas umständliche Online-System (www.snelandia.no) keine ausländischen Telefonnummern akzeptiert. Als Tourist ist man also auf Telefonbestellung angewiesen. Und die funktioniert eben nur zu den Öffnungszeiten des Snelandia-Büros.
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Der Fahrer hatte mich kurz vor Skjånes am Beginn des markierten Wanderwegs zum Tyfjorden aussteigen lassen. Das Wetter war wieder wunderbar. Anfangs hatte ich sogar einen richtige Weg, der mich durch ein freundliches Birkenwäldchen mit strahlend gelben Trollblumen und anderen bunten Blumen rasch auf eine gewisse Höhe brachte. Dort war es dann aber aus mit den Bäumen, und die bekannt karge, mit Steinen und Moos durchsetzte Landschaft lag vor mir. Ich genoss die Wanderung. Auch wenn ich mit dem Gewicht des Rucksacks – rund 19 kg – kämpfte. Der größte Brocken war wie immer das Essen für mehrere Tage.
Auch heute passierte es mir wieder, dass die einigermaßen engmaschigen Markierungen irgendwann plötzlich aufhörten. Aber die Route war klar. Ich hatte mich gut vorbereitet und den Weg ins GPS-Gerät eingegeben. Das brauchte ich heute aber gar nicht. Die Papierkarte war ausreichend. Und kurz bevor ich den Rafjordelva (nw. elva = Fluss) furtete, waren auch die Markierungen wieder da.
Eigentlich wollte ich ja bis zum Tyfjorden gehen. Doch die letzten Kilometer zogen sich. Bei zwei kleinen Zwillingsseen, die beide in einen Bach mündeten, sodass das Ganze wie die zarten Blütendolden eines sich verzweigenden Grashalms aussah, entschloss ich mich schließlich zu bleiben und mein Zelt aufzuschlagen. Bis zum Tyfjorden waren es noch etwa 3 bis 4 km.
Das war eine gute Entscheidung, denn kaum stand das Zelt, begann es zu regnen. Und ich war so müde, dass ich zunächst einmal nur erschöpft auf meiner Luftmatratze lag und vor Kälte und Erschöpfung zitterte. Außerdem hatte ich ziemliches Halsweh. Irgendwann holte ich mir dann Wasser von einem der beiden Miniseen, der nur etwa 5 cm tief war. Aber genug für mich. Nach einer herzhaften Takogryte (Real Turmat) fühlte ich mich dann gleich wieder besser.
Auch einige Tiere waren mir heute begegnet. Unten bei Skjånes sah ich einen Seeadler, der am Straßenrand direkt neben dem Fleksbus vom Boden abhob, mit weit gespreizten Flügeln. Ich sah Hasen, Rentiere, jede Menge Vögel. Auch meine geliebten Goldregenpfeifer, die sich wie Marktweiber zu kleine Gruppen zusammengeschart hatten. Und die mittlerweile raren Schneefelder waren beliebte Tummelplätze für die Rentiere, die dort Abkühlung von der Sommerhitze suchten.
Und dann waren da natürlich die lästigen Gelsen. Nicht so viele, dass ich meine neueste Errungenschaft, den Gelsenhut mit Moskitonetz, auspackte. Aber irgendwann griff ich genervt zum Gelsenspray. Das half etwas.
Birkenwäldchen am Beginn der Tour bei Skjånes
Ich gewinne rasch an Höhe
See vor dem Rafjorddalen
Von den Schneefeldern steigen weiße Schwaden auf
Samstag, 6. Juli 2024
Als ich in der Früh aus dem Zelt schaute, war die Landschaft in Nebel gehüllt. Von den beiden kleinen Seen und einem angrenzenden Schneefeld stiegen weiße Schwaden auf. Die Sicht war aber gut genug, dass ich den Markierungen folgen konnte, die allerdings nur bis an den Rand des Tyfjorden und nicht ins Tal hinunter führten. Absteigen war offensichtlich nicht vorgesehen. Vermutlich deshalb, weil der Weg hinunter über wenig gehfreundliche Blocksteinhalden führte und die Aussicht im Talgrund sehr eingeschränkt war. Es gab dort eine einzige Stelle im hinteren Teil des Fjordes, an der das tief eingeschnittene V-Tal des Tyfjordelva ganz gut zugänglich war. Dahinter stürzte sich der Fluss, oder besser gesagt Bach, gleich wieder in eine enge Steinschlucht in Richtung Meer. Die Furt selbst war harmlos. Am gegenüberliegenden Ufer hatte ich zunächst eine steile Geländestufe zu überwinden. Darüber befand sich eine breite Schneise mit größeren und kleineren Felsbrocken, die ich hinaufmarschierte.
Für den weiteren Weg hatte ich zuhause zwei Varianten vorbereitet. Eine, die von dieser Schneise weg ein langgestrecktes Tal hinauf ins Hochland führte. Kurz vor der Quelle dieses Baches musste ich dann nach rechts abbiegen und an ein paar kleinen Seen vorbei hinunter zur Finnkongkeila gehen, meinem heutigen Ziel. Die andere Variante führte am oberen Rand der den Tyfjorden einrahmenden Berge entlang in Richtung Meer, hügelauf und hügelab durch die hier sehr unübersichtliche Landschaft, bis ich schließlich zu einem Seitental gekommen wäre, das mich ziemlich genau zum Gelände oberhalb der Finnkongkeila geführt hätte. Die beiden Varianten bildeten zusammen quasi ein Rechteck und waren ziemlich gleich lang. Eine nähere Inspektion des Geländes vor Ort sprach aber eindeutig für Variante eins. Bestätigt wurde ich in dieser Wahl durch vereinzelte kleine Steinmänner, die ich dann auf diesem Weg finden sollte.
Der Weg entlang des Baches war dann auch ganz gut zu gehen. Die Steine waren hier kleinteilig, der Wasserlauf diente der Orientierung im eher eintönigen Gelände. Und als ich in Richtung Finnkongkeila schwenkte, konnte ich einige Male über größere Schneefelder gehen, was angenehm war. Es gab dort auch eine Reihe kleinerer Schmelzwasserseen, die gar nicht auf der Karte eingezeichnet waren. Wasser also im Überfluss, auch hier in der Steinwüste.
Berg am Rand des Tyfjorden
Oberer Teil des Tyfjorddalen
Aufstieg auf der anderen Talseite
Ich nähere mich dem Quellgebiet meines Baches
Schmelzwassersee
Und dann kam der Punkt, wo sich das Gelände wieder nach unten zu neigen begann. Und ich hatte einen herrlichen Blick auf die Varangerhalbinsel auf der anderen Seite des Tanafjords mit dem Dikkavikfjellet, dem Tanahorn und der Bukkekeila.
Und auf der hiesigen Seite zeigte mir ein kleiner Einschnitt im Ufergebirge, wo es hinunter zur Finnkongkeila ging. Das beflügelte meine Schritte enorm. Leider hatte ich noch einige Steinhalden zu überqueren, bis ich endlich das Gelände oberhalb der Keila erreichte. Ich war hundemüde und beschloss, mein Zelt hier aufzuschlagen und den doch eher steilen Abstieg in die Bucht am nächsten Tag ohne Rucksack zu machen.
Und jetzt sitze ich also in meinem Zelt. Der Himmel ist nach einem sonnigen Nachmittag nun wieder komplett bewölkt. Und ich spüre, dass sich mein Halsweh von gestern zu einem gröberen Husten auswächst.
Der Einstieg in die Finnkongkeila zeichnet sich bereits ab
Sonntag, 7. Juli 2024
Am nächsten Morgen lachte wieder die Sonne. Und das machte den mühsamen und steilen Abstieg in die Finnkongkeila angenehmer. Vor allem war es schön, diese kleine Bucht bei freundlichem Wetter kennenzulernen.
Geschichte der Finnkongkeila
Die Finnkongkeila ist nicht nur ein schönes Stück Landschaft, sie hat auch eine lange und interessante Besiedelungsgeschichte. Arvid Sveen schreibt in seinem Buch "Mytisk Landskap", in dem er alte Kultstätten und heilige Orte der Samen beschreibt, dass die Finnkongkeila erstmals um 1700 in schriftlichen Quellen erwähnt wird. Damals wurde sie "Finnkonvigen" genannt. Und es knüpften sich mehrere Sagen über "finnkonger" an diesen Ort.
Vermutlich wurde diese Bucht aber bereits viel früher besiedelt. Denn als "finnkonger" (nw. konge = König) wurden im Mittelalter samische Häuptlinge bezeichnet. Lars Ivar Hansen und Bjørnar Olsen beschreiben in ihrem sehr lesenswerten Buch "Samenes historie fram til 1750", dass die Samen zwar in sogenannten Siidas organisiert waren, in denen jeweils mehrere Familien zusammengefasst waren. Alle Mitglieder in einer solchen Siida waren gleichberechtigt. Und es gab auch nicht so etwas wie persönliches Eigentum. Denn allen gehörte alles, und jeder bekam, was er brauchte.
Allerdings waren die Samen damals nicht von der Welt abgeschiedene Wilde, die keinen Kontakt zur Umwelt hatten. Ganz im Gegenteil. Die Samen waren in ein weitreichendes Handelsnetz eingebunden, das bis nach Westeuropa hinunter und im Osten bis nach Russland reichte. Die kostbaren Tierfelle der Samenjäger, und auch ihre Fischprodukte, waren heiß begehrte Tauschware. Und weil in der nordgermanischen Bevölkerung damals die Häuptlinge das Sagen hatten, dürften sich auch auf Samenseite sogenannte "finnkonger" als Verhandlungspartner herauskristallisiert haben. Hansen & Olsen kommen zu dem Schluss, dass das nicht ohne Folgen für die samische Gesellschaft geblieben sein dürfte, in der plötzlich Einzelne aufgrund ihres Jagd- oder Verhandlungsgeschicks mehr Bedeutung und vielleicht auch mehr Rechte hatten als die anderen.
Die Finnkongkeila könnte also bereits sehr früh von Samen bewohnt worden sein. Es gibt dort auch einen alten Opferstein, sam. Skárfageadgi oder nw. Skarvestein genannt, den Arvid Sveen in seinem Buch abgebildet hat.
Das dürfte der alte Opferstein sein, den Sveen in seinem Buch abgebildet hat
Gesichert ist jedenfalls, dass die Finnkongkeila im 19. und frühen 20. Jahrhundert trotz ihrer Enge dichtbesiedelt war. Einheimische Fischerfamilien mischten sich hier mit Fischern aus ganz Europa, die von den reichen Fischgründen im Norden angelockt worden waren. In ihrer Blütezeit sollen hier an die 25 Wohnhäuser gestanden sein, sowie Fischverarbeitungsbetriebe und Lagerhäuser. Die kleine Gemeinschaft hatte sogar eine eigene Bäckerei, ein Jugendzentrum und einen Thingplatz, wie ein alter Plan von 1895 zeigt, der im Gamvik Museum ausgestellt ist. Um den engen Platz bestmöglich zu nutzen, wurde das "Straßennetz" (mit Steinen aufgeschüttete oder mit Grün bepflanzte Wege) von drei eigens engagierten Architekten konstruiert, erzählte mir Oddvar Jenssen, Geschäftsführer des Arctic Hotell in Mehamn. Es gab auch zwei Brücken über den Bach, deren Grundpfeiler bis heute zu sehen sind. Und der Bach selbst war nicht nur am Rand mit Steinen eingefasst, sondern im Bereich der Mündung auch am Boden mit Steinplatten ausgelegt. Auf diese Weise konnten die Fischer ihre Boote, die damals noch viel kleiner waren als heute, bei Sturm zum Schutz ins Bachbett hinaufziehen. Sogar eine Stromleitung gab es hierher, wie alte Fotos und die Überreste von Fundamenten für die Strommasten zeigen.
Von diesen beiden Felsplateaus führt rechts eine mit Steinen ausgelegte Straße hinunter in die Bucht
Im Talgrund sind die früheren Wege mit Gras überwachsen
Hier sollen einst 25 Häuser gestanden sein
Die alten Brückenpfeiler und der mit Steinplatten am Grund ausgelegte Bach
Im zweiten Weltkrieg fand das rege Treiben allerdings ein jähes Ende. Als sich die Deutschen im Herbst 1944 im Norden vor den vorrückenden Russen zurückzogen, wurde die Bevölkerung der Finnmark evakuiert und in den Süden transportiert. Und die Häuser wurden niedergebrannt. So auch in der Finnkongkeila. Und nach dem Krieg erklärte die norwegischen Regierung die Bucht zum Naturschutzgebiet und verbot eine Wiederbesiedelung. Auf Dauer wäre es dort wohl auch zu gefährlich gewesen, wegen des Steinschlags, erklärt Jan Erik Raanes, Leiter des Lokalmuseums in der Ortschaft Gamvik. Außerdem hätte man dann eine Straße dorthin bauen müssen, und das wäre wegen der Lage der Bucht wohl zu teuer und aufwendig gewesen.
Doch im Bewusstsein der Lokalbevölkerung ist die Finnkongkeila weiterhin stark verankert. Es gibt kaum einen, der nicht Geschichten von dort zu berichten weiß. Meine Freunde in Berlevåg (auf der Varangerhalbinsel) erzählten mir, dass einmal sogar US-Amerikaner ins Dorf gekommen seien und einen Skipper gesucht hätten, der sie von Berlevåg über den Tanafjord zur Finnkongkeila bringen sollte. Sie waren Nachfahren von Auswanderern, die einst an diesem Ort gewohnt hatte. Leider war damals – wie des öfteren hier – die See zu stürmisch für einen sicheren Landgang. Und der Weg übers Fjell, den ich gewählt habe, ist den meisten wohl zu lang und beschwerlich.
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Durch dieses Tal bin ich heruntergekommen
Doch nun war ich also hier und näherte mich nach einer mühsamen Kletterei die steile Talschlucht hinunter und über riesige Steinklötze schließlich dem Talgrund. Das erste, was ich sah, war ein mit kleineren Steinen ausgelegtes Plateau auf beiden Seiten des Baches, zu dem von unten herauf ein aufgeschütteter und ebenfalls mit Steinen ausgelegter Weg führte. Ich vermutete, dass dies einst ein alter Kult- oder Versammlungsplatz gewesen sein könnte. Denn nur ein kurzes Stück unterhalb befand sich ein großer Stein am Bachrand, der Arvid Sveens Foto vom alten samischen Opferstein, dem "Skarvesteinen", verdammt ähnlich sah.
Von diesem Plateau führte der Finnkong-"Boulevard" bis ganz hinunter in die Bucht. Unten war er schließlich grasbewachsen, was das Gehen angenehmer machte. Ich sah auch die steinerne Einfassung des Baches, die Reste der Brückenpfeiler und eine Reihe von Hausfundamenten, die allerdings teilweise schon vom Gras überwuchert waren. Unten am Meer waren einige halbverfallene Bootsanlegestellen und die vermoderten Pfosten von alten Ruderhütten (nw. Rorbuer) zu sehen.
Der Grund, warum ich mich für die Finnkongkeila interessierte, lag aber nicht so sehr in ihrer Geschichte, die ich erst nach und nach erfuhr, sondern vielmehr an dem Umstand, dass ich im Jahr 2012 genau gegenüber auf der anderen Seite des Tanafjorden sechs Wochen mit meinem Zelt in der Bukkekeila verbracht und dabei täglich zur Finnkongkeila herübergeblickt hatte. Der Name hatte mich schon damals fasziniert. Und auch die Tatsache, dass Menschen an diesem schwer zugänglichen Ort gelebt hatten.
Nach einem Spaziergang entlang der Uferpromenade und einer ausgiebigen Rast schickte ich noch eine sms aus der Finnkongkeila an meine Freunde in Berlevåg und machte mich dann wieder auf den Rückweg zu meinem Zelt. Nachdem ich die Steilpassage überwunden hatte, marschierte ich in Gedanken an diese alte Siedlung versunken entlang des Baches weiter in Richtung zu meinem Zelt. Bis mir plötzlich auffiel, dass das Gelände völlig unbekannt aussah. Was war los? Wie sich herausstellte, hatte der Bach hier von mehreren Seiten Zuflüsse, und ich war irgendwo an einem falschen Zufluss weitergegangen. Leider war das Gelände hier so unübersichtlich und weitläufig, dass mir nichts anderes übrig blieb, als zurückzugehen bis oberhalb des Steilhangs, und dann sehr konzentriert nochmals bachaufwärts zu gehen, um mich nicht wieder zu verlaufen. Denn mein GPS-Gerät hatte ich diesmal leider nicht dabei. Endlich tauchte mein kleines rotes Zelt vor mir auf.
Mein Zeltplatz oberhalb der Finnkongkeila
Dieter hatte mir mittlerweile auf meine sms geantwortet. Er selbst war heute mit seinem Bruder im Storelvdalen auf Tour. Und seine Frau Daniela arbeitete im Glasstudio.
Ich hab dann noch Wäsche gewaschen und ein Turmat zubereitet. Aber ich hatte kaum Appetit, hatte heute auch meine beiden Jausenriegel wieder unverzehrt zurückgebracht. Vermutlich hing das mit meiner Verkühlung zusammen, die immer unangenehmer wurde. Jedes Schlucken und jeder Hustenanfall taten weh, und der Schnupfen wurde auch immer schlimmer. Nun war mir klar, warum ich zu Beginn der Tour auf dem Weg zum Tyfjorden so knieweich war. Ich nahm homöopathische Mittel gegen Erkältung, die ich dabei hatte, in der Hoffnung, dass es am nächsten Tag besser würde.
Montag, 8. Juli 2014
07:00 Früh:
Soeben hat mich ein Rotfuchs besucht, der sich bis etwa sechs Meter vor mein Zelt wagte und dann zu meiner Pinkelstelle lief, dort markierte, und schließlich hinunter zum Bach trottete. Scheu schien er nicht zu sein, eher neugierig.
Der Vormarsch der Rotfüchse im hohen Norden wird von den Einheimischen mit gemischten Gefühlen beobachtet. Früher war dies hier die Heimat der wesentlich kleineren Polarfüchse. Doch mit der Klimaerwärmung breiten sich die Rotfüchse immer mehr nach Norden aus und vertreiben die Polarfüchse. Und Rotfüchse fressen nicht nur kleine Beutetiere, sondern zum Ärger der Lokalbevölkerung auch Vogeleier. Das tun Polarfüchse allerdings auch. Einmal beobachtete ich einen auf Island, der in Abwesenheit der Möweneltern mehrere Bodennester plünderte, und dem nach dem üppigen Mahl Dotter und Eiklar rechts und links vom Maul hinuntertrieften.
Heute geht es mir etwas besser. Ich habe zwar immer noch Schnupfen und Husten. Aber es tut nicht mehr so weh. Die Wolken draußen schauen undefinierbar aus. Aber es zeigen sich auch lichtere Stellen am Himmel, das gibt Hoffnung. Gestern hatte ich mich entschieden, angesichts meiner Verkühlung den geplanten Abstecher zur alten Siedlung in Omgang auszulassen und gleich zurück zum Tyfjorden zu gehen. Dort konnte ich mich dann ja entscheiden, ob ich je nach Verfassung zurück nach Skjånes gehen oder wie geplant vom Tyfjorden hinüber zum Risfjorden und weiter nach Slettnes gehen würde.
Diesmal schaut das Tyfjorddalen viel freundlicher aus
19:30
Ich sitze gerade in meinem Zelt, an einem traumhaft schönen Platz, auf einem kurzen, fast ebenen Wiesenstück, bevor der kleine Bach das letzte Stück hinunter zum Tyfjordelva fließt. Und die markanten Bergformationen auf der gegenüberliegenden Seite, die vor zwei Tagen so dunkel und schroff gewirkt haben, sind in der goldenen Abendsonne einfach wunderschön. Das edle, sonnenbeschienene Grau, von warmen Braun- und Grüntönen durchsetzt. Direkt vor mir ist wieder einer dieser runden Steinsockel, die früher den Strommasten zur Befestigung dienten. Strom, der vermutlich von hier aus sowohl in den Tyfjorden hinunter als auch in die Finnkongkeila und nach Omgang weitergeleitet wurde. Es ist erstaunlich, dass die Norweger zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine Mühe scheuten, um selbst die entlegensten Siedlungen mit Strom- und Telefonleitungen zu versorgen.
Vorhin habe ich auch entdeckt, dass entlang der schmalen Wiesenterrasse, auf der mein Zelt steht, ein kleiner Pfad tiefer hinunter in den Tyfjorden führt. Man geht zwar ein gutes Stück, bis man überhaupt den Talgrund sehen kann. Aber der Pfad führt eindeutig bis ganz hinunter ans Meer. Ich bin aber nicht bis nach unten gegangen, weil ich müde und hungrig war. Ich hatte ja auch einen herausfordernden Tag hinter mir.
Denn als ich heute von meinem Zeltplatz oberhalb der Finnkongkeila losmarschierte, wurde das Wetter schnell so richtig grauslig. Es regnete kräftig, dazu pfiff mir eisiger Wind ins Gesicht, und zu allem Überfluss breitete sich auch noch dichter Nebel über die Landschaft. Aber das wäre alles noch okay gewesen. Ich hatte ja mein GPS dabei. Doch dann ging auch noch einer meiner Wanderstöcke kaputt. Das unterste Stück mit dem kleinen Teller, das sich immer wieder zwischen den rauhen Felsblöcken verfing, war plötzlich weg. Offenbar nicht fest genug auf den Schaft aufgebracht. Damit hatte der ganze Stock keine Spannung mehr. Und die Schnur, die die einzelnen, zusammensteckbaren Teile zusammenhielt, hing lose heraus. Unreparierbar, wie es schien. In diesem Gelände hier brauche ich aber zwei Stöcke – sowohl zum Furten durch die Flüsse als auch zum Balance-halten auf den diversen Blocksteinhalden. Naja, ich werde wohl auf jeden Fall zurück nach Skjånes gehen müssen, auch wenn es mir verkühlungsmäßig wieder besser geht. Vielleicht finde ich ja einen brauchbaren Stock in dem dortigen Birkenwäldchen.
Dienstag, 9. Juli 2024
Es war eine etwas mühsame Nacht, weil ich immer wieder aufwachte und hustete und Schleim spuckte. Und mich auch im Kopf etwas benommen fühlte. Trotzdem fühlt es sich so an, als sei ich auf dem Weg der Besserung. Ich glaube, die Infludo-Tropfen und vor allem die Bryonia-Globuli haben bewirkt, dass die Entzündung in Hals und Lunge zurückgegangen ist.
18:00:
Wer hätte das gedacht! Ich habe mein Zelt am Koifjordvatn (nw. vatn o. vann = See) aufgestellt. Gerade füttert die Abendsonne noch mein Solarpanel. Und ich liege müde, aber froh auf meiner Luftmatratze. Ich habe es geschafft! Ich habe heute den Risfjordelva gefurtet, vor dem ich so großen Respekt gehabt hatte. Und es war eigentlich überraschend einfach.
Aber alles der Reihe nach:
Ich hatte mich ja schon damit abgefunden, wegen dem kaputten Stock zurück nach Skjånes zu gehen. Gefreut hat mich das aber nicht sehr. Und dann, als ich in der Früh das Zelt abgebaut hatte und mich darauf einstimmte, diese lange Steinhalde rauf zur Markierung Richtung Skjånes zu stapfen, hatte ich plötzlich eine Idee, wie ich meinen kaputten Stock notdürftig flicken könnte. Unten war er ja nicht ausgefranst, es fehlte nur der gesamte Spitz samt Teller. Ich stopfte also die Schnur, die die Einzelteile jetzt nur noch lose zusammenhielt, zurück in den Schaft und steckte die drei Teile zusammen. Das hielt natürlich so nicht, ohne Spannung. Aber ich umwickelte jede der drei Steckstellen mit Textiltape. Und um ganz sicher zu gehen, umwickelte ich dann zusätzlich noch die gesamte Stocklänge von unterhalb der ersten Steckstelle bis knapp über die oberste Steckstelle mit dem Tape. Das schien recht gut zu halten.
Solcherart wieder mit zwei Stöcken ausgerüstet, beschloss ich, mich doch zu Fuß auf den Weg zum Risfjorden und weiter nach Slettnes zu machen. Das Wetter war wunderbar. Und ich entdeckte nun auch, dass der kleine Fußweg, der mich gestern Richtung Talboden geführt hatte, bei meinem Zeltplatz nicht zu Ende war, sondern weiter talaufwärts bis zur Wasserscheide führte, von wo aus es auf der anderen Seite wieder bergab zur Tyfjordstrupa und zum Risfjordelva geht.
Rechts im Steinfeld ist der alte Weg hinauf zur Wasserscheide gut erkennbar
Den reparierten Stock benutzte ich sehr vorsichtig. Aber er hielt tadellos. Im breiten Tal der Tyfjordstrupa verlor sich dann das kleine Weglein, bzw. waren dort so viele Rentierpfade, dass ich mir's aussuchen konnte. Das letzte Stück hinunter zum Risfjordelva war dann noch spannend. Denn dort verengte sich das Tal plötzlich, sodass ich nach links über einen Felsbuckel ausweichen musste. Und der Fluss, der weiter oben noch sanft dahingeplätschert war, schäumte nun wild bergab.
Als ich dann den Buckel überquert hatte, sah ich einen lieblichen grünen Talkessel vor mir. Und ich erblickte gleich eine mögliche Furt, wo sich das Wasser des Risfjordelva in zwei Arme aufteilte. Dann sah ich aber, dass der Fluss weiter unten bei der alten Hütte oberhalb der Mündung ins Koifjordvatn ebenfalls problemlos zu furten war.
Wenn man eine Tour am Schreibtisch plant, weiß man schließlich nie, was sich hinter dem blauen Strich eines Flusses tatsächlich verbirgt. Er kann breit oder schmal sein, reißend oder sanft – es ist immer derselbe unscheinbare blaue Strich. Der Risfjordelva war ziemlich lang. Deshalb hatte ich angenommen, dass er hier beim Koifjordvatn nach zahlreichen Zuflüssen von allen Seiten bereits ziemlich groß und wasserreich sein musste. Breit war er auch tatsächlich, aber eben nicht sehr tief. Zumindest nicht zu dieser Jahreszeit. Zur Schneeschmelze sah das Ganze womöglich anders aus.
Das Tal des Tyfjordstrupen ist breit und flach
Hier geht's hinunter zum Koifjordvannet
Ich ging dann noch ein Stück am Ufer des Koifjordvannet entlang, bis ich zu einer Steilstelle am Ufer gelangte. Und hier bin ich nun also. Neben mir rauscht der Vesterelva in den See und hat mir Wasser fürs Abendessen gespendet. Mein Husten ist deutlich besser. Und ich genieße es so sehr, in dieser wunderbaren, lieblichen und gleichzeitig so schroffen Landschaft sein zu dürfen! Wo sonst in der Welt kann man so ungeniert durch die Natur stapfen, wo man höchstens irgendwelchen Rentieren, Schneehühnern, Adlern oder Wildenten begegnet? Wo sonst in der Welt kann man sich die wunderbarsten Plätze zum Zelten aussuchen und dort die Aussicht genießen, den Blick über den See?
Bin neugierig, ob ich morgen Menschen begegnen werde. Denn bald werde ich zu jenem Pfad kommen, der hinter dem Koifjordvatn am Ufer des Risfjordelva bis zum Risfjorden führt und einige Sommerhütten miteinander verbindet.
Gestern und heute hat sich der Rucksack übrigens bereits viel leichter getragen als am Anfang. Das würde bedeuten, dass acht bis neun Tage Essen ideal für mich wären und nicht so anstrengend wie die zwölf Tagesrationen, mit denen ich gestartet war. Aber mehr Proviant erweitert natürlich den Aktionsradius ungemein. Vielleicht gelingt mir doch noch irgendeine andere nennenswerte Gewichtseinsparung, um meine "Reichweite" nicht zu beeinträchtigen.
Mittwoch, 10. Juli 2024
09:00 Früh:
Heute nacht hab ich richtig gut durchgeschlafen. Und ich fühle mich zunehmend besser. Draußen ist es bewölkt, aber hie und da scheint etwas Blau und für wenige Augenblicke manchmal auch die Sonne durch. Der Waschplatz am Vesterelva war der bequemste bis jetzt. In Ufernähe befand sich ein etwa 1/2 m hoher, länglicher Steinblock, oben ganz flach, auf den ich mich setzte, um meine Füße und ein Taschentuch zu waschen. Und gleich daneben waren einige kleinere Steine, die aus dem Wasser herausragten, auf denen ich beim Waschen der übrigen Körperstellen stehen konnte.
Jetzt werde ich mir noch die Karte anschauen, um den weiteren Weg zu studieren. Und dann das Zelt zusammenpacken.
21:10
Heute war wieder ein wunderbarer Sonnentag. Schon mit Wolken dazwischen. Aber hier heroben gilt das trotzdem als Prachtwetter. die paar Hügel am Ufer des Koifjordvatn waren bald überwunden. Und ich traf wieder auf den Risfjordelva. Nun war er aber richtig breit geworden und mäanderte träge durch die flache, sumpfreiche Landschaft. Und ich sah einige Fischer am und im Wasser stehen. Einer hat mich sogar von Weitem mit der Hand gegrüßt. Was bei Norwegern eher selten ist, jedenfalls bei Fischern.
Es scheint so zu sein, dass in dieser lieblichen grünen Aulandschaft am Risfjordelva zwischen Koifjordvatn und Risfjord keine Hütten gebaut werden dürfen. Alles, was ich dort sah, waren Zelte der Fischer und ein paar Notunterstände, wo die Fischer ihre Tagesausrüstung verstauen konnten. Hütten sah ich jeweils nur am Beginn und am Ende dieser Passage.
Golden Hour am Risfjordelva
Als ich den Risfjorden erreichte, beschloss ich, mein Zelt aufzubauen und ohne Gepäck das weitere Gelände zu erkunden. Denn ich wollte herausfinden, wo man am besten den Steilhang hinauf zu den Bjørnelvvatna geht. Außerdem war das Abendlicht so schön, das die Uferhänge am Fjord in goldenes Licht tauchte und das Wasser metallisch-blau glänzen ließ. Ich wanderte also am Ufer entlang bis zu jener Stelle, wo früher die alte E-Leitung hinaufgeführt hatte und ich auch den Aufstieg geplant hatte. Da sah ich in einen jungen Vater mit seinen beiden Kindern beim Grillen vor dem Haus. Ich grüßte, ging auf ihn zu. Und er sagte mir, sie selbst würden immer genau hier schräg den Hang hinaufgehen.
Ich bedankte mich und machte mich wieder auf den Heimweg zu meinem Zelt. Da fiel mir auf, dass nicht weit von dem meinen ein anderes Zelt stand, klein und blau und so filigran, dass ich den Eindruck hatte, es würde beim ersten Windstoß davonflattern.
Donnerstag, 11. Juli 2024
19:20
Bin heute um 04:00 aufgewacht, weil die Sonne heiß auf mein Zelt geschienen hat. Beinahe wolkenloser Himmel. Wach war ich ohnehin schon. Da dachte ich mir, ich stehe gleich auf. Das Morgenritual samt Waschen am Bach, Frühstücken, Zusammenpacken dauert ohnehin mindestens drei Stunden. Und dann kann ich mir in aller Frühe in Ruhe meinen Weg hinauf ins Fjell suchen, solange die meisten Fjordbewohner noch schlafen.
Das war auch eine gute Idee. Als ich um etwa 08:00 zur Aufstiegsstelle kam, war in den Hütten noch alles ruhig, bis auf zwei Männer, die auf einer Terrasse frühstückten. Ich winkte ihnen zu, sie winkten zurück. Und dann entdeckte ich, dass der Weg ins Fjell hinauf zwar steil, aber sehr einfach zu begehen und auch gut markiert war.
Weg entlang des Risfjorden
Kurz bevor ich oben dann zur Furt über den Bjørnelva kam, holte mich ein Norweger ein. Es stellte sich heraus, dass er der Fischer in dem kleinen, hellblauen Zelt war, das ich gestern abend hatte. Namen haben wir keine ausgetauscht. Aber er erzählte mir, er stamme aus einem kleinen Dorf in der Gegend von Tromsø und wohne jetzt in Bergen. Und derzeit sei er den ganzen Juli über hier heroben im Norden auf Urlaub. Zuerst ein paar Tage fischen am Risfjordelva, dann geht's weiter zum Syltefjordelva bei Båtsfjord. Stolz zeigt er mir am Handydisplay den 1,5 kg schweren Lachs, den er gestern gefangen hat. Er habe ihn filetiert und den Rest einem Rotfuchs überlassen, der ungeniert bis auf vier Meter herangekommen sei.
Er sei es von jung aufgewohnt, sich bei seinen Touren das Essen aus der Natur zu holen durch Jagen oder Fischen. Diesmal habe er nur die Angel dabei, und er angle auch nie mehr, als er brauche. Wenn man trotzdem einmal zuviel hat, gibt es einen Trick – nämlich die rohen Fischfilets einsalzen, in Brotpapier packen und im Moor eingraben. Das wirke wie ein Kühlschrank.
Wir gehen eine zeitlang gemeinsam weiter, und mir fällt auf, dass er bei jedem See, zu dem wir kommen, sofort Ausschau hält, ob sich Fische darin befinden. Man sehe das, wenn die Fische nach Insekten schnappen und sich dabei Ringe an der Wasseroberfläche bilden, erklärt er mir.
Bei ihm habe ich auch den lockeren, sorglosen Umgang der Norweger mit Furten kennengelernt. Bei der Furt über den Bjørnelva waren leere Mistsäcke am Ufer unter einem Stein deponiert. Die stülpte er sich einfach über die Schuhe und zog sie hoch, während er damit durchs Wasser watschelte. Als er mir dann ebenfalls die Plastiksäcke zuwerfen wollte, lehnte ich dankend ab. Ich verließ mich lieber auf meine Watsandalen.
Und bei der zweiten Furt kurz vor dem Parkplatz an der Straße nach Gamvik latschte er mitsamt seinen Schuhen und Socken durch den Bach. Mit Wollsocken sei einem auch warm, wenn sie nass seien, meinte er lapidar.
Er erbot sich dann auch, mich mit seinem Leihauto die vier Kilometer bis nach Gamvik zu führen, obwohl er eigentlich in die Gegenrichtung nach Mehamn wollte. Ich nahm dankend an. So konnte ich noch am selben Tag das Museum in Gamvik besuchen und am nächsten Tag zum Steinlabyrinth auf Slettnes wandern. Außerdem war für den Nachmittag und Abend Regen angesagt.
Ausguck im Hafen von Gamvik
Nachdem ich im Gamvik Shop eine großen Becher Joghurt und eine norwegische Schinkenspezialität gekauft hatte, marschierte ich ins Museum. Und die Führung durch den Leiter dort, Jan Erik Raanes, war echt interessant. Ich muss auf ihn zwar wie eine totale Streberin gewirkt haben, weil ich dauernd Fragen stellte oder Kommentare abgab. Aber das Ganze interessierte mich eben sehr.
Er erzählte, dass bereits in der Steinzeit Menschen hier gesiedelt hätten, angezogen von den Robben, die sie wegen ihrem Fell und dem Fett geschätzt hätten. Und als die Robben auf Nordkinn beinahe ausgerottet waren, zogen sie weiter in die Gegend um Berlevåg, wo sie auf einen anderen Menschenstamm trafen, der von Russland her kam, mit demselben Ziel, Robben zu jagen. Wie weit sich die beiden Völker damals miteinander vermischt hätten, könne er nicht sagen.
Mich interessierte das deshalb, weil es eines von mehreren Zeugnissen ist, die zeigen, dass die Menschen auch in der Urzeit nicht immer um das ideale Gleichgewicht in und mit der Natur bemüht waren. Alles ausbeuten, was geht, und dann weiterziehen war halt in früheren Zeiten einfacher und hatte auch weniger Konsequenzen. Ein anderes Beispiel, das in diese Richtung geht, bringen Hansen & Olsen in ihrem Buch zur Samengeschichte, wo sie erläuterten, dass sich die Haltung von zahmen Rentieren bei den Samen Anfang des 17. Jahrhunderts entwickelt hatte, als die wilden Rentierbestände wegen der großen Nachfrage nach Rentierfellen in Westeuropa und Russland beinahe ausgerottet waren. Relikte von Massentreibjagden etwa auf dem Noiddiidčearru im Varangernationalpark, wo kilometerlange steinerne Fangzäune die Rentiere direkt zu den Steinmäuerchen leiteten, hinter denen die Bogenschützen lauerten, zeugen bis heute von diesem Raubbau an der Natur. Genetische Untersuchungen zeigten übrigens, dass die heutigen zahmen Rentierherden nur entfernt verwandt mit den seinerzeitigen wilden Rentieren sind. Offenbar hatte man damals Tiere von außen importiert, weil die hiesigen Rentierbestände zu dezimiert waren für eine umfangreiche Zucht.
Nächste Station im Museum war dann die Finnkongkeila, von der es mehrere alte Fotos und den bereits erwähnten alten Plan über die Anordnung des Straßennetzes und der Häuser gab. Über die Geschichte dieser Bucht habe ich ja bereits berichtet. Jan Erik ergänzt noch, dass es am 3. August eine Bootsfahrt von Skjånes zur Finnkongkeila samt ausführlicher Führung geben werde. Für mich ist das zu spät. Aber ich beschließe, meine Freunde in Berlevåg darüber zu informieren. Tatsächlich ist Dieter dann bei dieser Bootsfahrt mitgereist.
Museumsleiter Jan Erik erzählte auch von Gamvik, das etwa 250 Einwohner hat. Und eine eigene Fischfabrik. Hier würden hauptsächlich Dorsch (nw. torsk) und Schellfisch (nw. hyse) gefangen. Und zweimal pro Woche starte ein riesiger Lkw von hier aus nach Westeuropa, um dort auf Eis gelegten Fisch zu verkaufen.
Wie das Verhältnis zwischen Samen und Norwegern hier in der Gemeinde sei, wollte ich dann wissen. Er sagte, seine eigene Frau sei zwar eine Sami, derzeit sogar Bürgermeisterin von Gamvik, und trage bei bestimmten Gelegenheiten ganz bewusst die samische Kofta (traditionelle Tracht, Anm.). Doch für das Samentum habe man sich hier in der Gegend lange Zeit geschämt und es zu verbergen versucht. Das sei anders bei den großen Rentierherdenbesitzern im Inneren des Landes, die auch den Aufstand gegen das Alta-Kraftwerk organisiert und später das Samenthing gegründet hätten.
Auf die Frage eines Besuchers, ob sie hier angesichts der Nähe zur russischen Grenze Angst vor den Putin hätten, meinte er, das wichtigste in Bezug auf die Russen sei, dass die Gegend bewohnt bleibe. Dass man quasi die Hand drauf habe auf diesem Gebiet.
Nach dem Museumsbesuch hatte ich keine Lust, mich mit meinem Zelt irgendwo ins Fjell zurückzuziehen. Ich sehnte mich nach einer warmen Dusche und einem richtigen Bett. Und als ich an einem Hinweisschild auf einen Beherbungsbetrieb vorbeikam, konnte ich nicht widerstehen. Die Gamvik Brakkebo war zwar eher bescheiden eingerichtet, aber sauber und zweckmäßig. Und die Wirtsleute waren unglaublich nett. Als ich fragte, ob ich hier Wäsche waschen könne, gingen sie sogar extra ein Wollwaschmittel für meine Merinosachen kaufen.
Freitag, 12. Juli 2024
Slettnes, ein Naturreservat im Nordosten der Nordkinnhalvøya, ist sehr flach mit leicht zugänglicher Küste. Es war wie gesagt bereits bei den Robbenjägern der Steinzeit sehr beliebt und wird auch heute gern von Touristen aufgesucht. Attraktionen sind hier neben Flora und Fauna vor allem der bekannte Leuchtturm, Slettnes Fyr. Und ein sehr liebevoll angelegter und informativer "kultursti" (dt. Kulturpfad), der den Besuchern die verschiedenen Relikte von der Steinzeit bis in die jüngere Vergangenheit erklärt. Auf diese Weise werden unscheinbar aussehende Torfhügel, alte Holzplanken oder eine simple Steingrube plötzlich zu einer alten Steinzeitwohnstätte, den Überresten eines gestrandeten Holländerschiffs oder einer Grube zum Auslassen von Waltran.
Als ich heute von Gamvik aus quer durch Slettnes marschierte, dauerte es nicht lang, bis ich die Meeresküste auf der anderen Seite erreicht hatte. Das Gebiet ist nicht groß und leicht zu begehen. Ich suchte mir einen Zeltplatz beim Veslevikvannet, etwas abseits vom Kulturpfad. Und machte mich dann auf den Weg, um die Gegend zu erkunden.
Stattlicher Rentierbock in der Nähe von Gamvik
Die Bucht von Steinvågen mit der Russehytta im Hintergrund
Ich begann bei Steinvåg, einer beschaulichen kleinen Bucht, über der die idyllisch anmutende "Russenhütte" thront. Heute wirkt der Ort einsam und verlassen. Doch noch vor 100 Jahren herrschte hier reges Treiben. In Steinvåg hatten die russischstämmigen Pomoren, die zu dieser Zeit noch regen Handel mit den Norwegern trieben, eine Genehmigung zur Fischerei mit einem Stützpunkt an Land. 1880 erwarb der norwegische Kaufmann Schanche große Gebiete auf Slettnes, darunter auch Steinvåg. Er baute hier ein Packhaus, eine Lebertranfabrik und ein Wohnhaus für den Verwalter. Laut Infotafel hat der Ort aber auch eine samische Vergangenheit, so wie auch die nächste Station auf dem Kulturpfad, das Steinlabyrinth.
Steinlabyrinthe und Totenkult
Das Steinlabyrinth auf dem Mikkelberg an der Küste von Slettnes war neben der Finnkongkeila und dem Kinnarodden eines meiner Hauptziele auf dieser Wanderung. Nicht, weil diese Anlage so imposant wäre. Wie die Fotos unten zeigen, ist ein Teil der aus etwa kopfgroßen Steinen geformten Labyrinthbögen bereits von Torf überwachsen. Der Kulturpfad mündet ironischerweise genau an jener Stelle ins Labyrinth, wo sich laut Grundstruktur der Eingang befindet. Einigen Besuchern ist dies aber gar nicht bewusst – so wie jenem Touristenpärchen aus einem östlichen Nachbarland, das mich irritiert fragte, ob ich denn wisse, wo dieses Labyrinth sei. "Ja,", sagte ich, "wir stehen grade mittendrin."
Steinlabyrinth am Mikkelberg
Die Umrisse des von Torf überwachsenen Labyrinths sind noch zu erahnen
Was mich an diesem Labyrinth interessierte, war die Tatsache, dass es sich hier genauso wie bei den in Nordskandinavien verbreiteten Steinringen um alte Kultplätze handelte. Und ich finde Labyrinthe faszinierend – unübersichtlich und chaotisch für diejenigen, die sich darin befinden. Jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass es sich wie beim kretischen Labyrinth um einen geschlossenen, vermutlich sogar mehrstöckigen Bau mit einer Unzahl von Gängen handelt. Wer jedoch den Überblick hat, kann die kunstvolle Struktur und Gesamtkomposition erkennen, die dem zugrunde liegt.
Ein Labyrinth zu durchschreiten ist ein schwieriger Prozess. All die Windungen und scheinbaren Rückschritte auf dem Weg, das Gefühl der Ohmacht und der Unerreichbarkeit des Ziels. Und dann, wenn man endlich im Zentrum angelangt ist, die Furcht, dass einen das Labyrinth nie wieder frei gibt. Die Erkenntnis, dass es nicht immer der gerade Weg ist, der zum Ziel führt. Ja mehr noch, dass es genau diese endlosen Schleifen und scheinbaren Wiederholungen sind, die uns befähigen, endlich ans Ziel zu gelangen. Eine wunderbare Metapher für das menschliche Leben.
Dabei macht Penelope Reed Doob in ihrem Buch "The Idea of the Labyrinth" auf ein seltsames Paradoxon aufmerksam: In der Antike und in den nachfolgenden Jahrhunderten wurden Labyrinthe in der Literatur stets als gefährliche Orte beschrieben, wo man sich in Irrgängen verlieren konnte ("multicursal labyrinths", also Mehrweglabyrinthe). Im Gegensatz zu diesen verzweigten Labyrinthen der Dichter gab es in den Labyrinthen der Archtitekten oder in bildlichen Darstellungen meist nur einen einzigen, wenn auch verschlungenen Weg ins Zentrum. Und genau auf demselben Weg gelangte man auch wieder heraus aus dem Labyrinth ("unicursal Labyrinths", also Einweglabyrinthe). Auch das Steinlabyrinth auf dem Mikkelberg folgt dieser klassischen Grundstruktur des Einweglabyrinths (siehe Foto).
Klassische Grundstruktur eines Labyrinths, hier auf meinen Vorzimmerkasten gemalt
In der Forschung wird vielfach angenommen, dass Labyrinthe mit Riten zu tun haben, die mit Lebens- und Entwicklungskrisen zu tun haben, mit dem Übergang von einer sozialen Stellung und Funktion in eine andere, wie wir sie beispielsweise aus Übergangsriten im Zuge der Pubertät, Hochzeitsriten, Begräbniszeremonien und Initiationsriten aller Art kennen.
Bjørnar Olsen, Archäologieprofessor an der Universität Tromsø, schreibt, dass sich der überwiegende Teil der norwegischen Steinlabyrinthe ganz im Norden des Landes befindet, im Gebiet der Samen (Stone Labyrinth in Arctic Norway). Stets liegen sie an exponierten Stellen an der Meeresküste oder auf vorgelagerten Inseln. Und immer tauchen sie zusammen mit Gräberfeldern der Samen auf. Im Fall des Mikkelberg-Labyrinths gibt es dort neben den Samen- auch Pomorengräber. Errichtet wurden diese Labyrinthe hauptsächlich in der Zeit zwischen 1200 und 1700 n. Chr.
Wegen der Lage am Meer, in der Nähe von ergiebigen Fischgründen, wird auch immer wieder vermutet, dass die Labyrinthe mit Fangglück oder der Beschwichtigung von Wettergeistern zu tun hatten. Bekräftigt wird das durch folkloristische Erzählungen, denen zufolge die Fischer früher bei Unwetter ins Labyrinth hineingelaufen seien. Die Wettergeister folgten hinterher. Doch weil die Wettergeister so klein waren, dass sie über die Steinmäuerchen des Labyrinths nicht drübersehen konnte, verloren sie sich darin. Und die Fischer liefen rasch aus dem Labyrinth und ruderten unbehelligt von den Wettergeistern aufs Meer hinaus.
Die wahrscheinlichere und vor allem wissenschaftlich fundiertere Theorie ist aber jene, die auch Olsen vertritt – nämlich dass die Labyrinthe in den Begräbnisritualen der Samen eine größere Rolle gespielt haben. In vielen schamanischen Kulturen, so auch in der samischen, wurde die Reise vom Leben in den Tod, in die Unterwelt, als langwierig und gefährlich angesehen. Der Schamane jedoch konnte die Seele auf diesem Weg begleiten, da er selbst diesen Weg schon oft gegangen war.
Solche Übergangsrituale waren in der Regel durch drei Phasen gekennzeichnet, sagt Olsen – nämlich
1. Getrenntsein (Heraustreten aus Zeit und Raum des weltlichen Lebens)
2. Transition/Übergang (eine ambivalente Phase, in der der Fokus auf der Anpassung an den neuen sozialen Status liegt)
3. Wiedereingliederung (Rückkehr des Individuums in die Gesellschaft, aber nun mit einem neuen Status)
Im Fall des Todes geht es um die als langwierig und gefährlich angesehene Reise der Seele ins Totenreich. Olsen zufolge könnte der Schamane das Labyrinth betreten haben, um dadurch symbolisch das Heraustreten des oder der Toten aus dem Leben mit seinem sozialen Gefüge auszudrücken. In dieser Übergangsphase sind die Toten den Lebenden gefährlich (Wiedergänger!). Doch der Schamane führt die Seele sicher an ihren Bestimmungsort. Und wenn der Schamane wieder heraustritt aus dem Labyrinth, heißt das, dass das tote Individuum angekommen ist und seinen neuen Status angenommen hat.
Diese Rituale könnten auch mit Tänzen verbunden gewesen sein. Und tatsächlich gibt es zahlreiche Überlieferungen von rituellen Tänzen in Zusammenhang mit Labyrinthen. Die Darstellung auf meinem Vorzimmerkasten mit der Frauenfigur im Zentrum des Labyrinths stammt von einer Wandmalerei in der finnischen Kirche von Sibbo und stellt einen "jomfrudans" dar, also einen Jungfrauentanz. Dabei wird die Jungfrau im Zentrum von den tanzenden Burschen schließlich gerettet. Auch aus Kreta, dem Ort des berühmten Minotaurus-Labyrinths, sind rituelle Tänze in Zusammenhang mit Labyrinthen bekannt.
Olsen nimmt in seinem Artikel auch Bezug auf die Frage, warum sich diese samischen Steinlabyrinthe ausgerechnet in der Zeit zwischen 1200 und 1700 n. Chr. solcher Beliebtheit erfreuten. In dieser Zeit habe sich die samische Kultur im hohen Norden selbst in einem schwierigen Übergangsprozess befunden, sagt er. Die umgebenden skandinavischen und russischen Gesellschaften wetteiferten damals um die begehrten Ressourcen im Samengebiet, wie etwa kostbare Tierfelle, und versuchten das Gebiet unter ihre Kontrolle zu bekommen. Bald schon begannen auch Missionare ins Land einzudringen. Für die Samen bedeutete das einen beträchtlichen Stress. Und sie versuchten – quasi als Gegenbewegung – ihre eigene Kultur und ihre religiösen Rituale zu betonen und zu forcieren.
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Wie sehr die rätselhaften Labyrinthe auch heute noch die Gedanken der Menschen beschäftigen, zeigt ein kleines Büchlein beim Kultursteig zum Mikkelberglabyrinth. Die Besucher sind dort eingeladen, ihre eigenen Ideen und Vermutungen zur Bedeutung des Labyrinths einzutragen. Ich habe dort hineingeschrieben, dass sich meiner Meinung nach die beiden Theorien von Begräbnisriten und Riten zum Erhalt der Fischgründe gut vereinbaren lassen. Schließlich braucht der Mensch nach altem Glauben auch im Totenreich Nahrung. In der Nähe von reichhaltigen Fischgründen begraben zu sein, könnte da hilfreich sein :)
Nachdem ich eine zeitlang am Mikkelberg verweilt hatte, wanderte ich weiter zur nächsten Station auf dem Kultursteig – der Holländerbucht. Es heißt, dass die Bucht ihren Namen einem holländischen Schiff verdankt, das um 1860 hier Schiffbruch erlitten hat. Genauso gut könnte der Name aber von den holländischen Walfängern kommen, die hier im 17. Jahrhundert Walfang betrieben.
Ich schlüpfte auch durch einen schmalen Spalt im Fels und stand plötzlich in einer nach oben hin offenen, großen Aushöhlung im Felsen. Laut Infotafel hatte der kräftige Meeresstrom hier kleine Steine wie Mahlsteine gegen den Fels gerieben und so dieses skurrile Gebilde geschaffen.
Auch eine sogenannte hellegrop begegnete mir, eine mit Steinplatten ausgelegte Grube, in der früher das Walfett ausgelassen wurde. Dabei wurden zunächst Steine in der Grube zum Glühen gebracht. Darauf wurde eine Schicht Walspeck gelegt, und wieder glühende Steine, und wieder Walspeck etc., bis sich das flüssige Fett in der Grube sammelte und abgeschöpft werden konnte.
Das war dann aber auch schon die vorletzte Station. Und obwohl die ganze Zeit die Sonne geschienen hatte, kroch plötzlich Nebel vom Meer her übers Ufer in die Landschaft hinein. Ein kalter Wind kam auf, und ich ging rasch zu meinem Zelt zurück. Unterwegs sah ich noch eine eigenartige Lichtstimmung: eine Landzunge, die sich weit hinaus ins Meer vorstreckte, wie ein Dinosaurier. Und davor eine kleine Insel mit einem länglichen, gezackten Rücken, wie ein Dinosaurierbaby, das von der Mama vorwärtsgeschubst wird. Und der kleine Dino war in ein magisch anmutendes Licht getaucht. Später sah ich dann auf der Karte, dass es sich bei dem kleinen Dino um die Store Kamøya handelte.
Dinosaurier mit kleinem Dinobaby
Samstag, 13. Juli 2024
06:30
Ich muss immer noch an das Labyrinth denken. Als ich gestern diesen einen, noch einigermaßen vollständig sichtbaren Teil des Labyrinths abschritt, wurde mir bewusst, welche Rhythmik und Harmonie in dieser Labyrinth-Komposition drinnen liegt. Ja, das mit den Tänzen, die an vielen Orten mit den Labyrinthen verbunden waren, kann ich mir gut vorstellen. Man bewegt sich rhythmisch vorwärts und zurück, doch nie an derselben Stelle. Man kommt schon weiter, Windung um Windung, in einem gewissen Rhythmus, von links nach rechts und wieder links, Segment für Segment. Bis man endlich im Zentrum steht.
Mitternachtssonne auf meinem Zeltplatz am Myrvatn
18:00
So, der Bacalao von Real Turmat, und mein Getreidekaffee dazu, haben mir den Magen wieder etwas eingerichtet.
Als ich heute Nachmittag in den Coop Prix in Mehamn einfiel, war ich so hungrig, dass ich mir neben der Verpflegung für die Tour zum Kinnarodden auch noch einen riesigen Becher Joghurt, eine Packung Salami und ein kleines Stück Parmesan kaufte. Das Joghurt (850ml, die haben hier nur so verrückte Größen) aß ich gleich auf dem Bankerl vor dem Coop, weil ich dort den Abfall entsorgen konnte. Dann marschierte ich in Richtung Flughafen. Und bei der Tafel, die den Beginn der Kinnarodden-Route markiert, setzte ich mich vis à vis vom Polizeihaus auf einen Stapel Bretter und aß Salami und Käse ohne Brot. Bei weitem nicht alles. Trotzdem wurde mir schlecht davon.
Ich glaube, dass ich meine Ernährung auf diesen Touren doch etwas überdenken sollte. Meine Tagesrationen sind zu klein. Das hat zwar den netten Nebeneffekt, dass ich abnehme. Aber ich denke, manchmal fühle ich mich einfach schwach, weil ich zuwenig Energiezufuhr habe.
So wie heute. Ich aß in der Früh einen Riegel, und das war's bis zum Abend. Die an sich kurze Route von meinem Zelt bis zum Kuvannet an der Straße von Gamvik nach Mehamn, laut GPS nur 5,7 km, zog sich wie ein Strudelteig. Ein See reihte sich dort an den anderen. Und bei jedem musste ich über eine Menge Steinblöcke turnen bei der Umrundung. Außerdem ging's ständig bergauf, weil ich praktisch von Meereshöhe aus gestartet war und die Straße mitten durchs Fjell führt.
Ich brauchte also länger als ich dachte. Und als ich dann bei der Straße ankam, wollte ich mir ein Taxi rufen. Ein Tonband wies mich darauf hin, dass der Teilnehmer zur Zeit leider nicht erreichbar sei. Vielleicht war er anderweitig unterwegs? Oder ich hatte eine falsche Nummer eingespeichert?
Die Straße zwischen Gamvik und Mehamn ist generell nicht sehr dicht befahren. Aber heute, an einem Samstag, ging der Verkehr vor allem in eine Richtung, nämlich nach Gamvik. Ich stellte mich schon darauf ein, nun 16 km mit dem Rucksack auf der Straße gehen zu müssen. Da kam endlich auch einmal auf meiner Seite ein Auto – und fuhr vorbei. Kurz darauf hatte ich aber Glück. Ein finnisches Ehepaar nahm mich mit seinem Wohnwagen bis nach Mehamn mit. Sie lieben diese Landschaft hier ebenso wie ich und kommen alle Jahre hierher zum Wandern.
Beim Coop trennten wir uns dann. Ich wollte heute noch ein kleines Stück gehen und draußen in der Natur zelten, weil das Adventure Camp in Mehamn erstens nicht schön ist und ich zweitens endlich wieder allein sein will. Die Liebe zur Einsamkeit ist übrigens auch etwas, was ich mit den beiden Finnen teile.
Naja, und so bin ich hier an diesem kleinen See. Und freue mich auf die Tour zum Kinnarodden. Das Wetter soll ja in den nächsten drei Tagen herrlich sein.
21:30
Bin nach dem Abendessen gleich eingeschlafen. Doch die Abendsonne, die auf mein Zelt schien, hat mich noch einmal geweckt. Und ich hatte noch Durst. Machte mir einen köstlichen Tee. Und genoss das milde Abendlicht und das Konzert der Vögel. Rhythmisches Zwitschern, tieferes Gackern, dazwischen hohes Crescendo, leicht klagende Rufe, plötzlich aufgeregtes Geschnatter, das tiefe Schnarren der Schneehühner ...
Wir nehmen diese Laute so selbstverständlich hin. Doch wenn sie plötzlich verstummen, erscheint uns die Welt öd und leer. Zweimal hab ich bisher so ein Verstummen erlebt, im Kleinen. Das einemal, als ich 2012 in der Bukkekeila (Varangerhalbinsel) sechs Wochen Retreat mit meinem Zelt machte und eines Tages im August plötzlich alles so still war, weil die Zugvögel fortgeflogen waren. Und das zweitemal 2005, als ich in Island zum Drangajökull hinaufging und aus der lebendigen grünen Zone allmählich in die "Todeszone" geriet, wo nichts mehr wuchs außer staubigen, grauen Flechten. Dort war es auch plötzlich ganz still, kein Summen, kein Zwitschern und Gackern.
Montag, 15. Juli 2024
Hatte grade Besuch von einem kleinen, graubraunen Vogel – vielleicht ein Spatz –, der einen halben Meter vor meinem Zelt vorbeitrippelte. Gestern war ich nicht mehr in der Lage, irgendwas zu schreiben. Zu müde ...
Um es gleich vorweg zu nehmen: ich war heute beim Kinnarodden! Aber alles der Reihe nach.
Meine romantische Betrachtung über das Konzert der Vögel verging mir bald, als die Vögel einfach nicht aufhörten, Krach zu machen. Klar, das Wetter war wunderschön, die Mitternachtssonne verwandelte die Nacht zum Tag. Und das Gekreische und Geschnattere und Gepiepse, das Rufen und Schnarren, schien mir, wurde immer lauter.
Ich sah dann auf der Karte, dass der See, an dem ich mein Zelt aufgeschlagen hatte, zu den "Moorseen" gehörte. Sein Ufer war auch fast überall mit Schilf zugewachsen. Ideal für Vögel, schlecht für meinen Schlaf.
Gegen Mitternacht beschloss ich dann, einfach aufzustehen und frühzeitig zu der doch recht langen Tour zum Kinnarodden, dem nördlichsten Festlandspunkt Europas, aufzubrechen. Und ich habe diesen frühen Aufbruch nicht bereut.
Um 01:30 war ich schließlich startklar. Und die Landschaft war in zauberhaftes Licht getaucht. Golden schimmerndes Wasser inmitten goldgrüner Matten, dazwischen das edle Grau der Steine, die Seen und Bäche metallischblau schimmernd.
Nach einer Ehrenrunde um "meinen" Sumpfsee, wo ich kurz die Markierung verloren hatte, fand ich dann auch ohne Probleme den wirklich gut markierten Weg. Die Route war mit Bedacht gewählt. Etwas weiter südlich, als ich das in mein GPS eingegeben hatte, sodass ich die Quertäler etwas weiter oben queren konnte, wo sie noch nicht so tief eingeschnitten sind. Denn im ersten Teil der Route geht man quasi quer zu den natürlichen Rippen der Landschaft.
Hier quere ich den Sørfjordelva
Nun sind ein paar Täler und Höhenrücken zu queren
Namenloser See am Fuß der Bjørnviktuva
Als ich dann zu einem kleinen See am Fuß der Bjørnviktuva (s.o.) kam, machte ich eine zweite Ehrenrunde. Dort teilte sich nämlich der Weg. Auf den Felsen war nur V xx und V yy aufgemalt, irgendwelche Variantennummern, die ich mir nicht gemerkt habe. Und ich dachte mir zunächst, dass sie einem hier einfach die Wahl ließen, ob man den See rechts oder links herum umrunden wollte. Später kam ich allerdings zu dem Schluss, dass die linke Variante sich auf den Pfad bezog, der von Kjøllefjord herauf in den Kinnaroddentrail einmündet.
Wie auch immer, ich hatte ohnehin den rechten Pfad gewählt. Kurz darauf entdeckte ich am Seeufer ein Zelt, das um diese frühe Morgenstunde (06:00) noch ganz still dastand. Und weil ich so darauf fixiert war, dass die beiden Routen beim Auslauf des Sees auf der gegenüberliegenden Seite wieder zusammenführen müssten, übersah ich, dass die teilweise etwas verblassten roten T-Markierungen vom Seeufer weg auf die Bjørnviktuva führten. Am Seeauslauf suchte ich zunächst herum, wo der Weg weitergehen könnte. Und erwog kurz sogar, einfach ohne Markierungen weiterzumarschieren. Aber das Gelände war dort so rau und zerklüftet und unübersichtlich, dass ich davon wieder Abstand nahm. Das hieß aber, den Weg wieder zurückzugehen bis zur letzten Markierung, an die ich mich erinnern konnte, und die war bei jenem Zelt am Seeufer.
Und dann folgte die wirklich schwierigste Passage der ganzen Tour. In der Beschreibung des Kinnaroddentrails hatten sie ja gewarnt, dass diese Tour längeres Gehen über Steinfelder und Blockhalden erfordert und auch für erfahrene Bergsteiger:innen eine Herausforderung darstellt. Damit war wohl der Streckenabschnitt von diesem kleine See quer über die Bjørnviktuva und am Bjørnvikvannet vorbei hinauf zu jenem Bergrücken gemeint, der auf die Kinnarodden-Halbinsel hinausführt.
Das Gelände war hier nicht nur steinig, wie auch andernorts, sondern riesige Steinplatten und Felsbrocken lagen dort übereinandergewürfelt. Und mit schwerem Rucksack, wo jeder Schritt und jede Bewegung sitzen muss, damit man in diesem Gelände nicht das Gleichgewicht verliert, war das extrem anstrengend. Vor allem war mir klar, wenn ich jetzt wo abrutschte, würde das Gewicht des Rucksacks ein Abfedern des Sturzes fast unmöglich machen.
Glücklicherweise besserte sich das Gelände nach etwa drei Kilometern wieder etwas. Und kurz darauf führte der Weg zeitweise sogar über weiche, grüne Almmatten und an tiefblauen, einladenden Seen vorbei.
Mühsame Passage durchs Storkløft, im Hintergrund der Smørbringen
Hier ist es wieder angenehm zu gehen
An diesem See im Sandfjorden schlug ich mein Zelt auf
Als ich nach ziemlich genau zehn Stunden schließlich zu jener Stelle kam, wo nach links der Weg hinunter zum Kinnar Sandfjorden abzweigt, beschloss ich, zunächst einmal einen Zeltplatz zu suchen und ein ausgiebiges Mittagsmahl zu verspeisen. Das nahm einige Zeit in Anspruch, weil der Weg in den Sandfjorden hinunter über mehrere Stufen im Gelände führte und es halt immer dauert, bis das Zelt aufgebaut, alles ausgepackt und verstaut etc. ist. Außerdem war ich müde von dem langen Marsch.
Und es war drückend heiß. Die Sonne brannte aufs Zelt, dass es fast unerträglich war und mir die Schweißperlen im Gesicht standen. Solche Hitzetage hier heroben bedeuten meistens, dass entweder ein Gewitter kommt oder das Wetter kippt. Der Kinnarodden ist ohnehin bekannt dafür, dass er sich gern in Nebel hüllt.
Und da sah ich sie auch schon, die ersten Wolken und Nebelschwaden. Ich dachte mir, wenn ich heute noch auf den Kinnarodden gehen will, dann sollte ich das jetzt gleich tun. Und nicht auf die Abendsonne warten, wie ich das ursprünglich geplant hatte.
Als ich dann gegen 16:30 den Sandfjorden hochstieg, sah ich auf der anderen Seite des Fjord-Hintergeländes drei Gestalten hochsteigen. Sie schienen vom Ufer herauf zu kommen. Und ich vermutete, dass sie von einer kleinen Hütte am äußeren Fjordufer kamen, die auf der Karte als Roren eingezeichnet ist, von den Einheimischen aber als Sandfjordgammen bezeichnet wird.
Tatsächlich. Als wir dann schließlich oben bei der Abzweigung zum Kinnarodden zusammentrafen, erzählten sie, dass sie vom Kinnarodden hinunter zu dieser Hütte abgestiegen seien, die eine Art Nothütte und Übernachtungsmöglichkeit darstellt. Und dass das Ufer von dieser Hütte bis herüber zum inneren Sandfjorden so steinig und unwegsam gewesen sei, dass sie für etwa zwei Kilometer ganze drei Stunden gebraucht hätten.
Die drei, ein Mädel und zwei junge Burschen. erzählten mir dann noch, dass ihnen der Abstieg zum eigentlichen nördlichsten Punkt zu steil gewesen sei, und dass sie stattdessen zum Gipfel des Kinnarodden hinaufgekraxelt seien. Und nun wollten die drei, die die letzte Nacht hier im Zelt verbracht hatten, zurück nach Mehamn.
Ich hingegen steuerte auf den Kinnarodden zu. Und war wieder sehr dankbar für die Markierungen. Denn das Gelände dort oben ist zunächst ziemlich breit und flach. Es ist nicht wirklich klar, wohin man gehen soll (außer mit Kompass oder GPS natürlich). Gleichzeitig wurden die Nebelschwaden immer dichter und der Wind eisiger.
Unmittelbar vor der äußersten Landspitze ging es noch einmal steil bergab in eine Querfurche, die sich von einer Seite der Landzunge zur anderen zieht. Sie heißt Nordavindskardet, und ich kann mir gut vorstellen, wie hier immer wieder der eisige Nordwind durchfegt. Auf der anderen Seite der Scharte bäumt sich dann der Kinnarodden steil auf, um eine Art Schutzschild gegen das Eismeer zu bilden.
Der Nebel war nun so dicht, dass ich nur in den immer wieder mal auftauchenden Nebelfenstern die Umrisse der Landschaft vor mir erkennen konnte. Die Markierung führte nun in diese Querfurche hinunter. Doch ich hatte genug für heute und beschloss umzukehren. Immerhin waren meine Finger schon so klamm, dass ich kaum den Verschluss für die Regenschutzhülle des Handys aufgebracht hätte.
Auf dem Rückweg verlor ich wegen des Nebels dann zeitweise die Markierungen. Aber dank meines wunderbaren GPS-Geräts war das kein Problem. Inklusive Auf- und Abstieg im Sandfjorden war ich vom Zelt zum Kinnarodden und retour nun nochmals rund fünf Stunden unterwegs gewesen. Insgesamt also fünfzehn Stunden Gehzeit gestern. Beim Zelt angekommen, kroch ich sofort in den Schlafsack und schlief tief und fest bis 08:00 morgens.
Weg vom Sandfjorden zum Kinnarodden am Ufer entlang
21:50
Nachdem sich heute die Sonne wieder durchsetzte und doch noch ein recht schöner Tag wurde, beschloss ich, erstens einmal den Sandfjorden näher zu erkunden, dessen unteren Teil ich noch gar nicht kannte. Und ich wollte am Ufer entlang zu dieser Sandfjordgammen genannten Hütte gehen und von dort noch einmal zum Kinnarodden hochsteigen.
Das Fjordprojekt erwies sich als recht umfangreich. Denn bis jetzt habe ich sechs verschiedene Ebenen gezählt, von denen jede eine Welt für sich darstellt:
Es beginnt mit einem größeren See auf 164 m Seehöhe zu linker Hand des oberen Fjordeingangs. Dann ist da eine leicht geneigte Ebene, die beinahe vollständig von einem blaugrünen, pelzigen Gesträuch bedeckt ist. Sie wird nach unten zu von einer Art Querrampe begrenzt. Ab dort überwindet der Sandfjordelva dann eine größere Steilstufe, in der sich der Fluss auch tief in den felsigen Untergrund eingegraben hat. Das Gelände besteht hier aus tief zerfurchten Wiesen, Steinen, Hügeln, es geht bergab.
Dann kommt das Sandfjordvannet, das so groß ist, dass es quasi die gesamte Fjordbreite auf dieser Ebene füllt. Dort in Ufernähe hatte ich mein Zelt stehen. Und wenn ich weiter nach drunten wollte, musste ich ein Stück am steilen Seitenhang entlangkraxeln. Beim Abfluss des Sees beginnt dann die nächste Steilstufe, über die sich der Fluss (oder eigentlich Bach) in Form eines kaskadenartigen Wasserfalls hinunterstürzt. Hier beginnt auch das Naturreservat, das den gesamten unteren Bereich des Fjords umfasst.
Unterhalb des Wasserfalls kommt die nächste Ebene, eine breite Wiesenfläche mit kürzerem Gras. Dann noch eine Steifstufe und noch eine Wiesenfläche. Dort wächst das Gras sehr hoch. Und man kann noch deutlich die Sanddünen unter dem Gras erkennen. Ja, und dann kommt schließlich der namengebende Sandstrand, der sich vor allem bei Ebbe noch einmal weit ins Meer hinaus erstreckt. Der Fjord wird auch immer breiter. Ganz unten am Wasser, schätze ich, dürfte er gut zwei Kilometer breit sein.
Die Uferstrecke zwischen Sandfjorden und Sandfjordgammen erwies sich als sehr moderat. Da habe ich schon andere, beschwerlichere Uferstrecken erlebt. Ich stoppte die Zeit und kam bei gemütlichem Tempo auf 55 Minuten. Wie die drei von gestern hier drei Stunden brauchen konnten, ist mir schleierhaft. Aber wer weiß, was sie in diese drei Stunden alles mit eingerechnet haben.
Sandfjordgammen am Fuß des Kinnarodden
Die Hütte erwies sich als sehr ansprechend, schön gelegen, einfach und funktional. Sie ist aber keine Rettungshütte für gestrandete Fischer. Und auch keine Notunterkunft für Touristen. In einer bebilderten Infomappe in der Hütte lese ich, dass hier ursprünglich eine private Jagdhütte stand, die nach dem 2. Weltkrieg aus den Planken eines gestrandeten holländischen Segelschiffs erbaut worden war. In den 80er Jahren schloss ein gewisser Arild Olaussen einen Pachtvertrag mit der Familie Klykken, der das Anwesen gehörte. Arild verbrachte viel Zeit an diesem Ort und setzte auch die vom Verfall geprägte Hütte in Stand. Heute kümmern sich seine beiden Kinder um die Hütte. Sie erneuerten die morschen Wände, den Fußboden und das Dach. Und der Pachtvertrag mit der Familie Klykken wurde erneuert, mit der Zusatzklausel, dass die Hütte für alle Vorbeikommenden offen stehen soll, solange nicht die eigentlichen Pächter anwesend sind. Und von Zeit zu Zeit, heißt es in dem Text, soll auch ein Gespenst hier sein Unwesen treiben...
Im Hüttenbuch las ich dann auch, dass die drei jungen Leute von gestern aus Tschechien stammten und ihnen das grüne Zelt gehört hatte, das ich bei meiner Ankunft am oberen Eingang des Sandfjorden gesehen hatte.
Der Aufstieg zum Nordavindskardet war steil, aber okay. Die Scharte selbst ist von schütterem Gras bewachsen. Ich ging hinüber zur anderen Seite und stieg dort zur Kinnaroddenvika (nw. vik = Bucht) hinunter, in der Hoffnung, von dort am Ufer entlang bis zum eigentlichen nördlichsten Landpunkt Europas vordringen zu können. Vom Foto auf der Hinweistafel zum Kinnarodden (s.u.) wusste ich, dass sich dort an der linken Bergflanke (vom Meer aus gesehen) eine Art weiße Gondelkabine befand. Auch die Tschechen hatten sie gesehen und von oben ein Foto gemacht.
Der kleine weiße Punkt an der linken Seitenflanke des Kinnarodden ist die Kabine
Aber als ich mich entlang des Ufers bis zu dieser Kabine durchschlagen wollte, wurde das Ufer immer wilder und zerklüfteter, bis es mir schließlich zu mühsam wurde und ich umdrehte. Ich stieg den steilen Hang zum Nordavindskardet hinauf, wo mittlerweile wirklich ein eiskalter Wind durchpfiff. Und entschied mich, den Kinnarodden zu besteigen.
Offenbar hatte ich zu lange getrödelt, denn nun kam – so wie gestern – wieder der Nebel vom Meer herein und kroch die Berghänge hoch. Ich ging trotzdem weiter und entdeckte irgendwo sogar wieder Markierungen, die mich bis zum Gipfelsteinmann des Kinnarodden führten. Das gab ein gutes Gefühl, angekommen zu sein. Auch ohne weiße Kabine.
Viel sah ich allerdings nicht von oben. Und das lag teils auch an mir und meiner Höhenangst. Ich konnte einfach nicht bis an den Rand der Steilwand treten und nach dieser weißen Kabine Ausschau halten.
Als ich wieder auf die Sandfjordseite des Nordavindskardet ging, waren dort Sonne und blauer Himmel. Ich stieg ab und ging am Uferweg zurück. Da war ich dann allerdings schon müde und hungrig.
Sandfjorden vom Nordavindskardet aus gesehen
Strandbad für Möwen
Beim Kinnarodden ist die reinste Nebelküche
Dienstag, 16. Juli 2024
Heute also Rückweg vom Sandfjorden in Richtung Mehamn. Es dauerte eine volle Stunde, bis ich überhaupt aus dem Fjord hochgestiegen war. Dabei hatte ich ja mein Zelt quasi in der Mitteletage, noch oberhalb der eigentlichen Naturschutzgebiets, aufgestellt gehabt.
Es war wieder ein heißer Tag. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel, ohne jegliches Wölkchen. Auch Wind ging kaum einer. Ich schwitzte, die Gelsen waren lästig. Und vor allem bei der langen Storkløft-Passage (nw. storkløft = Blocksteinhalden mit groben Felsklötzen) am Bjørnvikvatn vorbei und über die Bjørnviktuva zu dem kleinen See, an dessen Ufer ich beim Hinweg das Zelt gesehen hatte, kam ich fast um vor Durst. In dieser Gegend, jenseits der Baumgrenze, gibt es kaum Schatten, kaum Schutz vor der Hitze.
Trotzdem hab ich heute im Storkløft rund um das Bjørnvikvatn Erstaunliches entdeckt – nämlich zwei bogasteller. Das sind halbkreisförmige Mäuerchen, hinter denen sich früher die Bogenschützen auf der Jagd nach wilden Rentieren versteckten. Sogar einen längeren Fangzaun konnte ich in dieser Steinwüste ausmachen. Bei der Jagd wurden die Rentiere entlang dieser Fangzäune entlanggetrieben, bis sie ein gutes Ziel für die Bogenschützen abgaben.
Diese Felsplatten haben oft die Größe eines Esstisches
Alte bogastelle inmitten der Steinwüste
Bei dem kleinen namenlosen See stand immer noch dieses Zelt. Rechts und links davon waren Mäuerchen aufgeschichtet. Da schien sich jemand häuslich eingerichtet zu haben. Vielleicht ein Jäger?
Am Oberlauf des Steinfjordelva, einem Flusstal parallel zum Sørfjordalen, das direkt nach Mehamn führt, stellte ich dann mein Zelt auf.
Mittwoch, 17. Juli 2024
03:45
Gestern habe ich ja schon gesehen, wie am Nachmittag der Nebel vom Meer aufs Land hereingekrochen ist. Und ich habe mir gedacht, ich bin neugierig, ob der Nebel bis hierher zum Kinnarodden-Trail kommt. Und tatsächlich, als ich vorhin aus dem Zelt geschaut habe, war alles in Nebel gehüllt. Das bedeutet natürlich auch Abkühlung von dieser extremen Hitze.
05:40
Der Nebel hängt immer noch im Talkessel. Aber er wird lichter. Vorhin beim Waschen an einem kleinen Tümpel hab ich ein paar Ringe an der Wasseroberfläche gesehen, an verschiedenen Stellen. Fische, die nach Insekten schnappen. Ich hab also schon gelernt von diesem norwegischen Hobbyfischer :-)
Und ich habe einen Entschluss gefasst: Auch wenn das Arctic Hotell in Mehamn sauteuer ist, werde ich mir ab heute für den Rest des Urlaubs ein Zimmer dort gönnen. Zwei Wochen Entbehrungen im Zelt sind genug. Außerdem hab ich ja alle Langstreckenziele, die ohne Übernachtung im Freien nicht möglich wären, schon abgehakt. Vor Begeisterung über diese Idee hab ich gleich auch meine komplette Wäsche gewechselt, in der Hoffnung auf eine Waschmaschine im Hotel.
18:00
Bin im Arctic Hotell gegen 11:00 angekommen. Oddvar, der den Laden hier leitet, erwies sich als sehr nett. Er verrechnete mir "nur" 110 Euro pro Nacht. Inklusive Frühstück. Bei Zimmer mit Dusche und Klo ist das okay. Und ich bin froh, nicht mehr ins Zelt zu müssen. So sehr ich das genossen habe in den vergangenen Tagen, mein Zelt an den wunderbarsten Orten aufstellen zu können. Jetzt reicht's.
Donnerstag, 18. Juli 2024
13:05
Das tut gut, wieder einmal so richtig zu faulenzen! Bin heute vormittag in Mehamn und auf der dazugehörigen Landspitze herumspaziert. An der Spitze der Landzunge fand ich wieder Kriegsrelikte – Bunker und ein Drehkreuz für den Abschuss von Kanonen. Richtung Bjørvika gab's eine halbverfallene Fischtrockenanlage. Dort wurde ich von einer Krähe "gestalkt". Sie verfolgte jeden meiner Schritte und setzte sich immer wieder knapp oberhalb von mir aufs Trockengestell, wenn ich mich ein Stück weiterbewegt hatte. Und natürlich hab ich sie genauso beobachtet und eine Reihe guter Schnappschüsse von ihr gemacht.
Krähe im Startflug
Im Ort selbst fiel mir auf, dass beinahe vor jedem Haus eine Bank, oft mit Tisch, im Freien stehen. Und zwar so, dass sich jeder Passant dort hinsetzen kann. Auch das Blue House hat so eine Außenbank, wo ich auf Yulia wartete, um meine schwarze Tasche in Empfang zu nehmen, die ich dort geparkt hatte. Jetzt bin ich wieder ausreichend mit Krimi-Lesestoff versorgt.
Gestern hat sich übrigens der Nebel den ganzen Tag an der Küste gehalten. Auch in Berlevåg drüben, wie mir Dieter in einer sms mitgeteilt hat. Aber heute hat sich wieder die Sonne durchgesetzt.
18:20
Bin am Nachmittag am Badesee von Mehamn entlangspaziert, an dessen zwei Schmwimmstegen ich heute tatsächlich ein paar Kinder und Jugendliche baden sah. Rund um diesen See, der rechts von der Straße nach Gamvik liegt, führt im Winter auch eine lichtbeschienene Loipe. Vor allem aber geht es von dort weiter hinauf entlang der Wasserleitung von Mehamn. Beim Bjørkvikfjellet teilt sich dann der Weg. Ein markierter Pfad führt weiter entlang der Leitung zum Middagsvatnet (dem Trinkwasserspeicher des Dorfes) und von dort nach Mehamn zurück. Der zweite Pfad, dem ich gefolgt bin, führt übers Bjørkvikfjellet zur Straße nach Gamvik, unweit der Stelle, wo ein Wanderweg zur Skipvikstuva und weiter auf dieser Landzunge bis hinaus zur Kamøynæringen und zur Store Kamøy führt.
Morgen werde ich dort wieder hinaufgehen und dann die ganze Tour bis zum äußersten Spitzel der Landzunge machen.
Mehamn mit Badesee im Vordergrund
Freitag, 19. Juli 2024
Das war heute eine wunderbare Wanderung! Zunächst den neu entdeckten Weg entlang der Wasserleitung hinauf ins Fjell, und dann hinaus auf die Landzunge. Ich folgte von Anfang an dem Grat. Auf die Markierung stieß ich erst später, als ich die Skipvikstuva erreichte. Es war ein ständiges Auf und Ab auf diesem Grat, größere und kleinere Felsgupfe, meist eher steil, aber recht gut zu begehen mit festem Fels und grünen Matten dazwischen. Und eine wunderbarer Aussicht. Es war ein bissel, als würde ich am Zackenkamm eines Vorzeitreptils dahinwandern. Und ganz vorne sah man, wie sich der eckige Kopf mit riesigen, aus Fels geformten Augen ins Meer schob.
Bis zuletzt wusste ich nicht, ob ich bis ganz nach vorn an die Landspitze würde gehen können, weil der auf der Karte eingezeichnete Pfad schon früher endete. Doch es war tatsächlich möglich. Immer wieder kamen tiefe Einschnitte im Gelände, ein ständiges Auf und Ab. Aber schließlich ging ich auf dem "Nacken" meines Vorzeitdrachen, dann auf dem Kopf und zuletzt auf dem Maul. Und Store Kamøy lag vor mir, eine Vogelinsel. Es war genau jene Insel, die ich von Slettnes aus in dieser seltsamen Lichtstimmung gesehen hatte, das Drachenbaby mit seinem gezackten Rücken.
Der Weg zur Kamøynæringen ist ein ständiges Auf und Ab
Vor mir liegt der Kopf des Ungeheuers mit den großen Steinaugen
Die Vogelinsel Store Kamøya
Auf dem Rückweg bin ich dann zum Skittenfjordvatnet hinunter und an dessen Ufer entlang zur Straße gegangen. Das hat mir einiges an Auf und Ab erspart. Und auf der Straße habe ich dann gestoppt. Ein netter Norweger hat mich mitgenommen und sogar direkt vor dem Coop abgesetzt, weil ich noch etwas zum Essen einkaufen wollte. Er meinte, die benachbarte Landzunge, der Bispen (zu deutsch "Bischof" wegen der charakteristischen Mützenform), sei noch heftiger als die Kamøynæringen, weil es dort noch deutlich mehr bergab und bergauf gehe.
Werden sehen. Zum Einstieg auf den Bispen würde ich aber auf jeden Fall mit dem Taxi fahren, weil mir der Straßenhatscher bis dorthin zu lang wäre.
Sonntag, 21. Juli 2024
Oddvar hat mir angeboten, mich in der Früh zum Bispen zu fahren, was wunderbar ist. Unterwegs zeigte er mir auch, wo sein Familie eine Hütte hatte, als er noch ein kleiner Junge war – an der Ostseite der Kamøynæringen. Nun haben sie eine neue Hütte in der Bucht vor dem Bispen.
Hier sei ja alles von den Deutschen im II. Weltkrieg niedergebrannt worden, sagt er. Nach dem Krieg habe die Regierung dann Baracken errichtet. Und als diese Baracken nicht mehr gebraucht wurden, nutzten einige das Holz, um Freizeithütten zu errichten. So auch Oddvars Vater. Diese Hütte gibt es heute immer noch. Aber daneben steht heute eine neue, größere Hütte. Sie gilt als "Erweiterung", denn Neues darf hier offenbar nicht mehr gebaut werden im Gelände. Das Anwesen wird heute von zwei Familien genutzt – der neue Teil von Oddvars Familie, das alte Haus von jemand anderem.
Beim Ausgangspunkt der Bispen-Tour schätzt Oddvar, dass ich hin und zurück wohl vier Stunden brauchen werde, wenn ich bis zur Spitze der Landzunge vorgehe. Und er gibt mir den Rat, immer dem Höhenrücken zu folgen. Wenn ich zurückkäme, solle ich ihn anrufen. Dann hole er mich wieder ab.
Oben auf dem Grat zu bleiben erweist sich tatsächlich als sehr klug. Entgegen den Aussagen des Norwegers von vorgestern ist der Bispen angenehm zu gehen. Feste Felsen, dazwischen viel Grün. So wie immer hier taucht hinter der vermeintlich letzten Erhebung immer noch eine und noch eine auf. Aber dann ist es geschafft. Zur Rechten liegt Slettnes mit dem Mikkelberget und dem Leuchtturm zum Greifen nah. Und links ist die Kamøya, der kleine Babydrache, im Seitenprofil zu sehen.
Wolkenstimmung an der Landspitze des Bispen
Blick auf Mikkelberget und Slettnes
Kamøynæringen mit Store Kamøya, dem Dinobaby
Ich bin froh, dass mir Oddvar auch die Rückfahrt angeboten hat. Denn als ich nach ziemlich genau vier Stunden wieder bei der Straße ankam, fuhren nur ganz wenige Autos in Richtung Mehamn. Oddvar war rasch zur Stelle. Und auf der Rückfahrt erzählte er mir, dass er früher in der Fischindustrie gearbeitet und Fisch in alle Welt verkauft hatte. Das Hotel war kurz nach der Jahrtausendwende pleite gegangen und wurde dann von zwei Jungen übernommen. Das funktionierte aber nicht gut. Schließlich kamen neue Eigentümer, und Oddvar begann als daglig leder (Geschäftsführer). Seither läuft das Geschäft ganz gut.
Tatsächlich treffe ich am nächsten Morgen beim Frühstück im Hotel einen ganzen Arbeitertrupp. Diese Berufsreisenden sind es wohl, die das Geld hereinbringen. Genauso war es ja auch bei Dieters Pensjonat in Berlevåg. Auch dort waren es die Arbeiter von diversen Baustellen, oder Techniker etc., die ein stetiges Einkommen das ganze Jahr über brachten.
Spaziergang in der Vedvika
Nordmannsetfjorden mit Skipstuva im Hintergrund
Dienstag, 23. Juli 2024
Als ich um 05:30 zum Flughafen komme, erfahre ich, dass zuviel Bodennebel ist. Der Flieger kann nicht landen in Mehamn, und infolgedessen auch nicht wieder abfliegen. Solche wetterbedingten Hindernisse kommen hier immer wieder mal vor. Aber ich habe Glück. Der Nachmittagsflieger kann dann doch abheben und bringt mich nach Tromsø. Meinen Anschlussflug nach Oslo und weiter nach Wien habe ich natürlich verpasst. Was dumm ist, weil ich mit zwei Tickets fliege und mir deshalb ab Tromsø ein neues Ticket besorgen musste. Aber so ist das halt dort oben. Die wundervollen Naturerlebnisse sind es allemal wert.